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Das Steuer-Wirrwarr wird größer denn je

Özdemir will höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch: „Ich finde, das merken sie kaum“

04.07.2024

| Lesedauer: 3 Minuten
Özdemir will eine Mehrwertsteuererhöhung auf Fleischprodukte. Damit soll der Umbau von Ställen finanziert werden. Statt Subvention des Agrardiesels nun also Mehrwertsteuer-Millionen fürs Tierwohl? Den gebeutelten Verbrauchern entgegnet er: „Ich finde, das merken sie kaum.“

„Bauernfängerei“ ist ein diskriminierender Begriff, weil er unterstellt, Landwirte seien anfällig für Betrügereien und nicht sonderlich helle. Was natürlich nicht stimmt, denn sehr viele Landwirte sind gebildeter, lebensklüger und vor allem produktiver als manche „Studierte“.

Unterstellen wir Landwirtschaftsminister Cem Özdemir also keine Bauernfängerei, sondern Populismus, wenn er den Bauern jetzt – deren Vorschlag entsprechend – ankündigt, sich für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleischprodukte um zwei oder drei Prozent stark zu machen. Das sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag, 4. Juli, beim Deutschen Bauerntag in Cottbus.

Özdemir und Landwirte wollen hier also eine Mehrwertsteuer von 9 oder 10 Prozent. Mit den Mehreinnahmen sollen die Landwirte, so Özdemir, den Umbau der Ställe im Sinn eines verbesserten Tierwohls finanzieren können. Özdemir im Fernsehsender „Welt“ wörtlich: „Wenn wir das Geld gezielt nehmen für den Umbau der Ställe, könnte es dazu beitragen, dass der Wunsch der überwiegenden Mehrheit der Verbraucher sich erfüllt, dass die Tiere besser gehalten werden“, sagte er, denn gleichzeitig würde man auf diese Weise die Bauern nicht allein lassen, für die sich das rechnen müsse.

Özdemir hält eine solche Anhebung des Mehrwertsteuersatzes für verkraftbar für die Verbraucher: „Ich finde, das merken sie kaum.“ Der Minister meinte, dass das Vorhaben noch in der laufenden Legislaturperiode mit einer überparteilichen Mehrheit umgesetzt werden könne. Zunächst müsse es eine Einigung in der Ampel-Koalition geben und dann eine mit der Opposition. Der Minister: „Ich kenne viele in der Union, die sagen: Das könnte ein gangbarer Weg sein, der ist vertretbar“ (hier und hier).

Wir haben nachgerechnet und halten fest:

  • Pro Jahr und pro Kopf verzehrten Deutsche im Jahr 2023 51,6 Kilogramm Fleisch. Das war ein Rückgang um knapp 12 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 (58,5 Kilogramm pro Kopf).
  • Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 6,9 Millionen Tonnen Fleisch produziert. Das sind 6.900.000 Tonnen beziehungsweise 6.900.000.000 Kilo.
  • Bei einem durchschnittlichen Fleischpreis von 11,47 Euro je Kilogramm ergibt das einen Umsatz von ca. 80 Milliarden Euro.
  • Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 10 Prozent steigerte den Umsatz um rund 2,4 Milliarden Euro.
  • Pro Verbraucher würden sich die Kosten bei einer 10-Prozent-Mehrwertsteuer auf Fleisch und Fleischprodukte pro Jahr (hier ausgehend von 2023) von durchschnittlich 591,8 auf 609,6 Euro erhöhen.

Für Landwirte wäre das ein gutes Geschäft, wenn die 2,4 Milliarden Euro denn wirklich ihnen zugute kämen und nicht woanders landeten. Theoretisch wäre damit kompensiert, dass die Subvention des Agrardiesels sukzessive zurückgefahren wird. Sie kostete den Bundeshaushalt, also den Steuerzahler, zuletzt pro Jahr rund 440 Millionen Euro.

Und die Folgen? Noch mehr Wirrwarr!

Auf dem Papier also alles recht und schön. Frage aber: Wer kontrolliert die „richtige“ Verwendung der 2,4 Milliarden Euro im Sinne des Tierwohls? Wird es einen neuen Bürokratismus in den Landwirtschaftsämtern geben?

Vor allem aber würde mit Özdemirs Idee das System der Mehrwertbesteuerung immer noch undurchsichtiger. Ein Wirrwarr haben wir jetzt schon:

  • 7 Prozent beträgt in Deutschland die ermäßigte Umsatzsteuer bei Lebensmitteln, die der Grundernährung dienen. Dieser ermäßigte Steuersatz entfällt auf Lebensmittel wie Fleisch, Wurst, Fische (mit Ausnahmen, siehe unten), Kartoffeln, Mehl, Gewürze, Früchte, Tee, Milch, Butter, Käse, Quark, Zucker, Honig … Es handelt sich um nicht verarbeitete Lebensmittel. Für weitergehend behandelte Lebensmittel trifft dies nicht zu, wie dieses Beispiel zeigt: Garnelen 7 Prozent Mehrwertsteuer, aber getrocknete Garnelen, geschälte/gekochte Garnelen 19 Prozent.
  • 19 Prozent Mehrwertsteuer entfallen auf: Austern, Hummer, Kaviar, Langusten u.a. Ferner auf trinkfertigen Kakao, Cappuccino, Tee oder Kaffee. Ebenso für gewöhnliche Möhren-, Orangen- oder Apfelsäfte. Für Milchmischgetränke werden 19 Prozent berechnet, sofern im fertigen Produkt der Anteil an Milch oder des Milcherzeugnisses unter 75 Prozent liegt. Die volle Mehrwertsteuer wird bei Mineralwasser, alkoholischen Getränken fällig. Im Gegensatz zu Mineralwasser wird Trinkwasser aus der Leitung mit 7 Prozent besteuert. Die Mehrwertsteuer auf Kaffeeprodukte ist besonders kompliziert.

Özdemir hatte vor nicht allzu langer Zeit in einer Talkshow 0 Prozent Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte gefordert. Er begründet seine Forderung als sinnvolle und notwendige sozialpolitische Maßnahme, sie sei aus gesundheitspolitischer und klimapolitischer Sicht empfehlenswert.

Aha, von daher weht der volkspädagogische Wind also auch!

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