<
>
Sprachpolizei auf Lummerland

Die woke Verfälschung der Wirklichkeit

24.02.2024

| Lesedauer: 3 Minuten
Nun trifft die Zensur auch Michael Endes „Jim Knopf“-Reihe. Nur wer insgeheim nicht dazu in der Lage ist, zwischen Stereotyp und Individuum zu unterscheiden, nur wer in sich Wertesysteme trägt, die bestimmte Augenformen oder Hautfarben abwerten, kann an neutralen Beschreibungen Anstoß nehmen.

Der Thienemann Verlag knickt ein vor dem „antirassistischen“ Zeitgeist: Ausgerechnet in Michael Endes „Jim Knopf“-Reihe wütet die Zensur, und das, obwohl diese Menschenfreundlichkeit atmenden Kinderbücher gerade das Gegenteil von Ausgrenzung und Diskriminierung postulieren. Der Scheinriese, der wegen seiner Größe keine Freunde hat, der Halbdrache, das schwarze Findelkind, die chinesische Prinzessin: Niemand soll wegen Äußerlichkeiten abgewertet werden, jeder wird gewürdigt um seiner inneren Werte willen.

An dieser Stelle erlaube man mir eine biographische Anmerkung: Ich habe als Dunkelhäutige bereits als junges Kind unter rassistischen Beschimpfungen und Beleidigungen gelitten. In Michael Endes Welten, die ich als Bücherwurm ausgiebig frequentierte, begegnete mir Rassismus indes niemals.

[inner_post 1] Dennoch muss freilich zuerst das Wort, das nicht genannt werden darf, weichen: Der „Neger“. Und das, obwohl es lediglich einmal vorkommt – in einem Kontext, in dem es die spießige Provinzialität des Protagonisten deutlich machen soll. Hier wird also eine Verflachung der Aussage in Kauf genommen: Mit sprachlicher Modernisierung, wie sie für ältere Kinderbücher mitunter sinnvoll sein kann, hat das nichts zu tun; es wäre etwas völlig anderes, wenn es sich etwa um eine Abenteuergeschichte handelte, in der „Neger“ als Standardbezeichnung für schwarze Menschen verwendet worden wäre.

Dass der woke Wahn immer unverfrorener um sich greift, ist nichts Neues, wie die zum Teil hanebüchenen Verschlimmbesserungen der Kinderbücher Roald Dahls im angelsächsischen Raum zeigen.

Nun hatte Michael Ende selbst bereits Änderungen erbeten; die ursprünglich in China angesiedelten Abenteuer wurden ins Fantasieland „Mandala“ verlegt. Allerdings ist diese Änderung nicht nur auf den Wunsch des Autors selbst zurückzuführen, sie ist auch nachvollziehbar, weil so die gesamte Handlung in eine Fantasiewelt rückt, und nicht aus dem fiktiven Lummerland ins „echte“ China führt. Eine Entscheidung, die die Kongruenz bewahrt, während die fernöstliche Atmosphäre selbst unangetastet bleibt, ebenso wie der weiterhin klar als chinesischer Bonze erkennbare „Pi Pa Po“.

[inner_post 2] Mit den neuerlichen Anpassungen werden hingegen humorvolle Passagen entkernt, wichtige Aussagen unterlassen, um nur nicht missverstanden werden zu können – die trostlose Welt moralischer Besserwisser: Jim darf seine schwarze Haut nicht mehr thematisieren, „Mandelaugen“ gibt es nicht mehr.

Abgesehen von der Humor- und Fantasielosigkeit solcher Eingriffe ist dieser Umgang mit literarischen Werken generell problematisch. Übermalen wir Holbeins Porträts, um den Dargestellten zeitgemäße Kleidung zu verpassen? Schreiben wir Mozarts Requiem um, damit es klingt wie ein Song von Taylor Swift? Zum andern sind Bücher durchaus auch historische Quellen. Sie öffnen uns eine Tür zum Denken vorhergegangener Generationen, zu Lebens- und Erfahrungswelten – wenn wir es denn zulassen. Diese Tür wird mit Karacho zugeworfen, weil der eigene Tellerrand als Horizont gilt.

Unter woken Vorzeichen ist dies zudem nichts anderes als Manipulation und Geschichtsfälschung. Unser kulturelles Gedächtnis wird ausradiert, der Mensch wird zum heimatlosen, unbeschriebenen Blatt Papier, dem man aufprägen kann, was man will: Die sozialen Medien hallen derzeit von Gelächter wider, weil Googles AI-Programm Gemini bei Anfragen nach historischen Darstellungen von Wikingern oder den Gründervätern der USA jene als Schwarzafrikaner darstellte. Noch ruft diese plumpe Fälschung Heiterkeit hervor; doch wie lange noch? Wird nicht schon die nächste Generation kaum noch dazu in der Lage sein, zwischen plausibler und frei erfundener Darstellung zu unterscheiden, wenn schon die Sichtbarkeit eines Unterschieds „rassistisch“ ist?

[inner_post 3] Und dies bringt uns zum dritten Punkt, der insbesondere bei Kinderliteratur fahrlässig ist: Manipulationen wie diese nehmen der Welt ihre (Wieder-)Erkennbarkeit, die Kinder doch gerade erst entdecken. Um das, was uns umgibt, sinnvoll einordnen zu können, müssen wir es benennen dürfen. So erfassen wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Die Angst vor „stereotypen Beschreibungen“ zeigt, dass hier nicht der Autor korrigiert oder Kinder geschützt werden sollen. Vielmehr soll das eigene spießige, provinzielle Weltbild therapiert werden. Denn nur, wer insgeheim nicht dazu in der Lage ist, zwischen Stereotyp und Individuum zu unterscheiden, nur wer in sich Wertesysteme trägt, die bestimmte Augenformen oder Hautfarben abwerten, kann an neutralen Beschreibungen Anstoß nehmen.

Exemplarisch für die Absurdität dieser Säuberungsaktion steht so das Wort „Mandelaugen“ – eine neutral bis positiv besetzte Alternative zum verletzenden „Schlitzauge“. Warum, um Himmelswillen, will man Kindern Begriffe zur genaueren Erfassung der Welt vorenthalten, obwohl diese nicht einmal ansatzweise diskriminierend sind? Abgesehen davon müssen Kinder auch den bösen, menschenfeindlichen und diskriminierenden Worten begegnen – allein schon, um zwischen richtig und falsch unterscheiden zu lernen, um besser vorbereitet zu sein, wenn sie ihnen im echten Leben begegnen.

Indem man Kindern die Ausdrucksfähigkeit nimmt, zwingt man sie in die Sprachlosigkeit: Das Wahrgenommene muss namenlos bleiben, in der Hoffnung, dass es mit dem Namen irgendwann auch die Existenz verlieren möge. Wenn wir nur nicht sagen, dass Menschen unterschiedlich aussehen, werden wir sie irgendwann auch als gleich und gleichförmig wahrnehmen. Das Ergebnis dieses Trugschlusses ist nicht weniger Diskriminierung, sondern eine graue, eintönige, konturlose Welt.

Hier klicken, um den Inhalt von X anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von X.

[advertisement-block provider=“support“ location=“posts“]

Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus

Ihre Unterstützung hilft uns, weiterhin kritisch zu berichten.

Einmalig unterstützen

Monatlich unterstützen

Jährlich unterstützen

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken