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Droht der EU der konservative Backlash?

Irland und Portugal: Ein Vorspiel für die EU-Wahl

12.03.2024

| Lesedauer: 2 Minuten
Die Iren stimmen in einem Referendum gegen eine Verwässerung des Familienbegriffs, in Portugal erodiert die sozialistische Partei. Der vergangene Sonntag ist ein Vorbeben für die EU-Wahl – und damit für Ursula von der Leyen.

Das Ergebnis kam überraschend. Mit Homo-Ehe und Abschied vom Abtreibungsverbot nahm das einst katholische Irland den Weg der Turboliberalisierung. Die „Modernisierung“ der Rolle der Frau in der Verfassung, aber vor allem die Neudefinition des Familienbegriffs schienen da der regierenden Mitte-Links-Koalition nur eine kleine Hürde zu sein. Doch der Wahlsonntag geriet zum Debakel: Beide Vorlagen wurden zu 67 und 74 Prozent abgelehnt.

Die hiesigen Medien insinuierten einen konservativen Backlash. Freilich kann man sich über den Passus streiten, dass „die Frau durch ihr Leben zu Hause dem Staat eine Stütze“ sei. Unbestreitbar dagegen ist, dass die besondere Rolle der Familie als grundlegende Einheit der Gesellschaft weniger modernisiert denn korrigiert werden sollte, und zwar durch die Hinzufügung des Satzes: „Familie – unabhängig davon, ob sie auf einer Ehe oder einer anderen dauerhaften Beziehung beruht.“

Der Schlappe folgt die politische Fehlerdiagnose und die gesellschaftliche Analyse, doch wird man sicherlich nicht fehlgehen, neben der seit zwei Jahrzehnten laufenden Dekatholisierung – und damit für irische Verhältnisse: Entnationalisierung und Identitätsverlust – eine allgemeine Abneigung gegen gesamtgesellschaftliche Trends festzustellen. In den europäischen Nachbarländern und vonseiten der Europäischen Union hat man genügend erlebt, welche vermeintlich harmlosen Schlupflöcher sich später als ideologische Fallgruben entpuppt haben.

Ein zweiter Paukenschlag kam aus Lissabon. Portugal war eine der letzten großen Bastionen der europäischen Sozialdemokraten und Sozialisten, der Ableger PS erreichte hier noch spielend 40 Prozent – Ergebnisse, bei denen französischen, italienischen und deutschen Genossen die Tränen kämen. Doch auch hier, vorbei: Mit einem Absturz von 120 auf 74 Sitze im Parlament hat die Partei eine historische Katastrophe erlebt. Wahlsieger ist das Mitte-Rechts-Parteienbündnis AD (76 Sitze), weil dieses die Aussicht darauf hat, den nächsten Ministerpräsidenten zu stellen.

Eigentlicher Sieger ist jedoch die „rechtspopulistische“ Chega, die ihr Ergebnis von 12 auf 46 Sitze vervielfacht hat. Das bringt das portugiesische Parteiensystem in Bedrängnis. Denn noch zieren sich die Mitte-Rechts-Parteien. Sie haben nach dem Muster der deutschen Christdemokratie eine Brandmauer gebaut und eine Koalition mit den Schmuddelkindern ausgeschlossen.

Damit steckt die lusitanische Politik in einer Sackgasse: Denn wegen der massiven Differenzen zwischen Sozialisten und Demokratischer Allianz wird es keine große Koalition geben. Gerüchte machen die Runde, dass Neuwahlen anstehen – denn sonst bliebe nur die Option einer Mitte-Rechts-Minderheitsregierung mit Duldung von Chega. Man spricht das ungern aus, denn ein europäisches Vorbild gibt es dafür: die amtierende Regierung in Schweden.

Das Damoklesschwert hängt damit auch über Brüssel. Eine Pattsituation, in der weder die Sozialdemokraten noch die Zentristen alleine regieren können, und die Parteien rechts davon das Zünglein an der Waage spielen – eine unangenehme Ausgangssituation. Hatte doch auch kürzlich die Europäische Volkspartei, die mit den portugiesischen Wahlsiegern von Mitte-Rechts verbunden ist, sich neuerlich von den Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) und der Fraktion Identität und Demokratie (ID) distanziert. Dabei regieren EKR-Parteien mit der EVP nicht nur in zahlreichen Ländern – wie am Beispiel Schweden dargestellt, existieren auch informelle Vereinbarungen mit der ID, deren deutsche Vertreterin die AfD ist. Die italienische Schwesterpartei Lega ist Teil der Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Für Ursula von der Leyen sind das nicht die positivsten Vorzeichen, und die vagen Wahlversprechen bezüglich Green Deal und Verbrenner-Aus dürften in jene Kategorie von Schnellschüssen fallen, weil sich das europäische Karussell zu drehen beginnt. Selbst Portugal, wo es bisher keine starken Bewegungen rechts der Mitte gab, droht nunmehr zum Normalfall zu werden. Anders als auf der iberischen Halbinsel ist die (informelle) Koalition von Sozialisten und Zentristen in Brüssel und Straßburg zwar nicht unmöglich; aber auch in der EVP dürfte der Wunsch bestehen, nicht immerwährend im linken Klammergriff zu verharren.

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