So wie Butler Sex und Gender zu einer Kategorie synthetisiert, setzt sie in obskurer Weise grammatikalisches und biologisches Geschlecht gleich und verleumdet das generische Maskulinum als Mittel der Unterdrückung und der Zwangsheterosexualisierung. Weil aber Sprache ein Diskurs der Macht ist, der Herrschaft, muss aus ihrer Sicht Sprache „enteignet“, sprich verändert werden. Eine besondere Rolle spielt die sogenannte Hassrede. In ihrem Buch „Hass spricht“ verwendet Butler den Begriff hate speech, ohne ihn selbst hinreichend zu definieren. Ausgehend von Althusser schlussfolgert sie: „Hate speech offenbart eine vorgängige Verletzbarkeit durch die Sprache, die uns anhaftet, insofern wir gleichsam als ‚angerufene Wesen‘ von der Anrede des anderen abhängen, um zu sein.“
In dieser Banalität offenbart sich Butlers extrem subjektiver Idealismus, denn wir sind, weil wir sind. Wir existieren auch nicht deshalb, weil wir angerufen werden, sondern weil wir sind, treten wir in Kommunikation. Althusser und Butler im Gefolge übersehen de Saussures Unterscheidung zwischen langue und parole. Die Sprache ist ein in langen historischen Zeitspannen wachsendes System, das eine große Invarianz aufweist. Nicht die Sprache verletzt, vor- oder zwischen- oder nachgängig, sondern im Gebrauch der Sprache, in der Rede, im Sprechen kann der Sprecher den Angesprochenen verletzen, wie er ihn aufzubauen, zu loben und zu motivieren vermag. Verbannen wir den Hass aus der Sprache, verbannen wir auch die Liebe aus ihr.
Judith Butler belegt es ungewollt selbst. Sie lebt in einer finsteren, düsteren Welt voller Unterdrückung, voller Hass, voller Zwang. Helligkeit, Liebe, Freundlichkeit existieren in dieser Welt nicht. Gleich zu Beginn ihrer Hassrede definiert sie: „Im Grunde schreibt man der Sprache eine Handlungsmacht zu, nämlich die Macht zu verletzen … Man behauptet also, dass die Sprache handelt, und zwar gegen uns handelt.“ Aber wer oder was ist die Sprache? Meint Butler die Sprache als System oder als konkrete Äußerung? Selbst Allah handelt nicht per se, sondern erst indem er spricht. Der Essay offenbart, wie wenig Butler von Linguistik versteht, wie abhängig sie von Althusser, Foucault und Derrida ist. Sprache handelt nicht, doch im Sprechen handelt der Sprechende, konkret und absichtsvoll. Er benutzt dafür die Sprache.
Um noch einmal auf Althussers Beispiel zurückzukommen, dass für Butler grundlegend ist: Unabhängig davon, ob der Passant von dem Polizisten „angerufen wird“, existiert er, würde er unabhängig von der Anwesenheit des Polizisten, sogar unabhängig von der Existenz des Polizisten, wenn der nicht ausgerechnet der Vater oder Großvater des Passanten wäre, existieren und an diesem Tag zu dieser Zeit dort entlanggehen. Was soll sich durch den simplen Fakt, dass der Passant auf den Polizisten reagiert, am Wesen des Passanten ändern? Seine Identität wird davon nicht berührt. In der Vorstellung, dass die Identität um den Preis der Schuld erkauft ist, hat sich das christliche Konzept der Erbsünde eingeschlichen, von dem der entflohene Katholik Althusser nicht lassen kann und das von Butler so gern übernommen wird, weil es vermeintlich zeigt, wie mies Sprache, die nur unterdrückt, mit den armen Zwangsheterosexualisierten umgeht, weil sie die Tatsache einer ständigen Schuld hervorruft – oder wie man in poststrukturalistischen Kreisen gern sagt: konstituiert.
Ein Einführungsseminar in Linguistik hätte genügt, um den Unterschied zwischen Sprache und Sprachgebrauch zu klären, ein Blick aus dem Studierzimmer heraus auf die Straße hätte verdeutlicht, dass Menschen existieren, dass sie Subjekte sind, die selbständig handeln und nicht erst als Opfer eines Diskurses konstituiert werden.
Judith Butler arbeitet sich in ihrer Theorie der Befreiung an den illokutionären und perlokutionären Sprechakten ab, unterschlägt aber, dass J.L. Austin drei und John Searle vier Arten von Sprechakten definierten, weil nur die illokutionären und perlokutionären Sprechakte für Butler hilfreich sind. Doch J.L. Austin definiert vor der Illokution und der Perlokution die Lokution. Während die Illokution die Funktion einer Äußerung meint, ob sie einen Befehl oder eine Entschuldigung ist und damit Vorgaben macht bzw. mittelbare Folgen auslösen kann, beschreibt die Perlokution die unmittelbaren Folgen der Äußerung, die einen Befehl oder die Einhaltung eines Schwurs oder Versprechens beinhalten können.
Die erste Ebene bildet jedoch die Lokution, die die Äußerung als Folge von Worten, die einem bestimmten Lexikon entnommen sind und entsprechend einer Grammatik gebildet werden, versteht. Nur auf dieser Ebene ist es möglich, den Wahrheitsgehalt einer Äußerung zu überprüfen. Da hier also logisch Wahrheit überprüft werden kann und die Verbindung zur Realität mittels Referenz gegeben ist, sperrt sich diese Ebene der halluzinierenden Spekulation. Für die Lokution gilt: hic rhodus, hic salta. John Searle unterscheidet sogar vier Arten von Sprechakten, den Äußerungsakt, den propositionalen und die beiden, mit denen sich auch Butler herumschlägt. Der Äußerungsakt beinhaltet das Hervorbringen der Äußerung nach den Regeln der Grammatik und der Phonologie einer Sprache. Im propositionellen Akt, der für die Bestimmung des Wahrheitswertes der Äußerung offensteht, wendet sich der Sprecher einem Objekt zu, dem er sogleich Attribute oder Eigenschaften zuordnet. Lokution oder Proposition passen allerdings nicht in Butlers Modell, in dem die Realität nur eine Konstruktion der Macht ist, die kein anderes Ziel als die Unterdrückung kennt.
Für Butler steht fest: „Der potentiell verletzende Effekt der Sprache lässt sich niemals vollständig regulieren …“, was sie aber mittels Zensur und Sprachpolizei als die wahren Mittel der Freiheit durchsetzen möchte. „Je deutlicher man bemerkt, wie unvermeidlich unsere Abhängigkeit von den Formen der Anrede ist, um überhaupt eine Handlungsmacht auszuüben, um so dringlicher wird eine kritische Perspektive auf die Sprachformen, die die Regulierung und die Konstitution des Subjekts bestimmen.“ Der Ort der kritischen Perspektive ist allerdings Orwells Wahrheitsministerium. „Tatsächlich ist es eines der stärksten Argumente für eine staatliche Regelung von hate speech, dass bestimmte Äußerungen … den Effekt haben, ihren Adressaten neuerlich zu unterwerfen.“ Butler bildet sich ein, wenn sie die Sprache zensiert, sie umbaut, ihr Gewalt antut, sie durchideologisiert und einen Sprachgerichtshof schafft, dass sie dadurch einen Beitrag zur Freiheit leistet.
Das Gegenteil ist der Fall – und der Essay „Hass spricht“ belegt es in eindeutiger Art: Es geht ihr um nichts Geringeres als um eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft. Heterosexualität kann sie nur als Zwang sehen, denn Heterosexualität entsteht laut Butler im Verwerfen der Homosexualität. Zwar ist es eine biologische, also naturwissenschaftliche Tatsache, dass die Erhaltung der Arten durch Fortpflanzung, durch Heterosexualität entsteht und die meisten Menschen von Natur aus heterosexuell sind, doch kann man auch diesen Fakt aus der Welt schaffen, indem man sinn- und wahrheitswidrig behauptet, dass das Geschlecht nur eine soziale Fiktion ist. Nur leider bleibt in dieser „Theorie“ offen, wie die Konstituierung des Geschlechts als Ausdruck der Macht und der Zwangsheterosexualisierung bei Schafen und Elefanten und allen anderen Tieren erfolgte.
Der Gulag der Sprache geht nur dem Gulag der Gesellschaft voran. Butlers inquisitorische Strenge gilt „anstößigen Begriffen“, „unreinen Begriffen“, die Inquisitoren des Mittelalters hielt hierfür die Ausdrücke „Häresien“ bzw. „übelklingende Begriffe“ bereit. Judith Butler spricht selbst und in eindeutiger Weise von der Vorstellung „der souveränen Freiheit des Individuums“, zu der man nicht zurückkehren könne. Das aber ist der Dreh- und Angelpunkt, an dem sich die totalitäre und, wenn man so will, antidemokratische Grundhaltung des Genderismus zeigt, der erbittert alle bekämpft und diffamiert, die andere Vorstellungen vertreten.
Doch die Grundbedingung des demokratischen Staates ist der freie Souverän, der zum Zwecke der Regierung in einer repräsentativen Demokratie Vertreter wählt, die in seinem Namen und in seinem Auftrag die konkrete Regierungsarbeit leisten. Die souveräne Freiheit des Individuums ist die Grundlage der bürgerlichen Demokratie und zudem eine Garantie des Grundgesetzes und keine Vorstellung, zu der man nicht zurückkommen kann. Was hier hinter der Ecke hervorblinzelt, ist das totalitäre Denken des Marxismus.
Wie diese Zwänge, diese neue Unfreiheit, gewissermaßen eine Art Neostalinismus, aussehen können, hat das Studentenparlament der Humboldt-Universität zu Berlin vorgeführt, als es sich für eine harte Quotierung ausgesprochen hat: „Eine sich weiblich identifizierende Person“ soll auf der Rednerliste vor die erste „sich männlich identifizierende Person“ gezogen werden, sofern davor nicht bereits eine „sich weiblich identifizierende Person“ steht. Stehen nur noch drei „sich männlich identifizierende Personen“ auf der Redeliste, wird die Debatte beendet …“.
Die Dekonstruktion der Dekonstruktion als Dekonstruktion von Butlers Genderismus kann mit Blick auf den Umfang hier nicht geleistet werden, nicht die mangelnde Kenntnis der Geschichte, noch die Gefangenschaft in simplen Binaritäten, die keine Triplizitäten kennt, vorgeführt werden, noch die Rezeption des Marxschen Klassenkampfes als Geschlechterkampf, in dem der heterosexuelle Mann als Klassen- oder besser Geschlechterfeind gilt.
Die „Zwangsheterosexualität“ soll laut Butler aufgelöst werden, indem die Geschlechteridentität aufgehoben wird durch die Etablierung einer Vielzahl von Geschlechtern.
Zum strategischen Mittel in diesem Kampf gehört die Umgestaltung der Sprache durch die Einführung einer gendersensiblen Sprache und die Veränderung und Zerstörung von Texten durch die Veränderung der Texte, wie man es auch an der Bibel in dem Projekt „Bibel in gerechter Sprache“ versuchte und letztlich scheiterte. Schon Foucault hatte postuliert: „Der Diskurs befördert und produziert Macht; er verstärkt sie, aber er unterminiert sie auch, er setzt sie aufs Spiel, macht sie zerbrechlich und aufhaltsam.“
Den Diskurs umzufunktionieren, gegen die Macht zu richten, eine Gegenmacht zu etablieren, inspiriert diese Vorstellung, die Judith Butler und die Vertreter einer „gerechten“ oder „gendersensiblen“ Sprache verfolgen. Um was es hierbei tatsächlich geht, wird kaum verhohlen: „Die kulturelle Konfiguration von Geschlecht und Geschlechtsidentität könnten sich vermehren, oder besser formuliert: ihre gegenwärtige Vervielfältigung könnte sich in den Diskursen, die das intelligible Kulturleben stiften, artikulieren, indem man die Geschlechter-Binarität in Verwirrung bringt und ihre grundlegende Unnatürlichkeit enthüllt. Welche andere lokalen Strategien, die das ‚Unnatürliche‘ ins Spiel bringen, könnten zur Ent-Naturalisierung der Geschlechtsidentität als solcher führen?“
Das ist deutlich: es geht nicht um die queere Vielfalt, sondern die queere Vielfalt ist nur das Mittel, um die Geschlechter-Binarität der Heterosexualität aufzulösen, quasi zu verdünnen. Heterosexualität wird als unnatürlich bezeichnet. Die Liebe zwischen Mann und Frau, die Gründung einer Familie, die Zeugung von Kindern gelten Butler als unnatürlich, das, was in der gesamten Natur vorkommt, denunziert sie als unnatürlich, weil sie die Diffamierung der Homosexualität als unnatürlich umdreht und nun auf die Heterosexualität anwendet. Mutterschaft gilt ihr als Mittel der Unterdrückung.
Die queere Vielfalt ist für Butler letztlich eine Kampfmaske für die Homosexualität. „Ein Begriff wie Freiheit bezeichnet irgendwann einmal etwas, was er nie zuvor bezeichnet hat…“ Nämlich die Unfreiheit. „Das Wort, das verwundet, wird in der neuen Anwendung, die sein früheres Wirkungsgebiet zerstört, zum Instrument des Widerstandes.“ Hier wird deutlich, welche Aufgabe das Gendern von Sprache und die gendersensible Betrachtung von Texten, auch von biblischen Texten hat. In der Eroberung der Sprache wird das Mittel zur Veränderung der Gesellschaft gesehen.
„Solche Wiederaneignungen zeigen, wie anfällig diese unreinen Begriffe dafür sind, unerwartet wieder unschuldig zu werden.“ Dass unreine Begriffe unschuldig werden, wenn sie für den Genderismus in Anspruch genommen werden, ist sprachlich im Sinne einer semantischen Copula absurd und grammatikalisch falsch, weil weder unreine, noch unschuldige Begriffe vorkommen. Wer Begriffe schuldig sprechen will, macht sich lächerlich, indem er den Nominalismus noch nominalisiert. Einmal auf der metaphorischen, metaphysischen Eisbahn angelangt, gerät Butler weiter ins Rutschen: „Diese Begriffe sind kein Eigentum, sie nehmen jeweils ein Leben an und richten sich auf ein Ziel ein, für die sie niemals gedacht waren…Die Aufgabe liegt wohl darin, diejenigen gesellschaftlichen Gruppen in die Begriffe der Moderne mit einzubeziehen, die diese traditionell ausgeschlossen haben, und dabei zu wissen, dass solches Einbeziehen nicht einfach ist – sein Prozess müsste die Politik erschüttern und beschädigen, die ihn leistet … eine Vorstellung von Differenz und Zukünftigkeit in die Moderne einzubringen, die eine unbekannte Zukunft entwirft, eine, die jenen angst macht, die deren konventionelle Grenzen verteidigen wollen.“
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