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Keine "ziemlich besten Freunde" mehr?

Macron sagt Treffen mit Scholz ab – Frankreich ist „wütend“ auf Berlin

20.10.2022

| Lesedauer: 2 Minuten
Frankreichs Präsident Macron hat das für den kommenden Mittwoch geplante Treffen mit Kanzler Scholz abgesagt. Einer der Gründe: „Wut“ über das 200 Milliarden Euro schwere Energieförderprogramm, das Deutschland aufgelegt hat, ohne vorher seinen engsten EU-Partner zu konsultieren.

Der Knall war gestern bis über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu hören. Dort reichte er sogar an den Lärm um die neue Regierungschefin Liz Truss heran, die – kaum angetreten – erstaunlich rasch ihre Unfähigkeit demonstrierte und nach den Tories lieber heute als morgen aus dem Amt gefegt werden sollte. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verschiebt sein Treffen mit Kanzler Olaf Scholz, das für den kommenden Mittwoch geplant war. Der Grund: »Wut« über Deutschlands Energieförderprogramm, wie der Pariser Korrespondent des britischen Telegraph schreibt und sehr ausführlich die gegenseitigen Befindlichkeiten berichtet.

[inner_post 1] Frankreich sei »wütend« auf Berlin, weil es ein 200-Milliarden-Euro-Energieprogramm aufgelegt habe, ohne vorher seinen engsten EU-Partner zu konsultieren. Deutschland wiederum soll sich insgeheim über französische Heuchelei und Egoismus beschwert haben.

Die traditionellen deutsch-französischen Regierungskonsultationen zu verschieben, komme zu jenem Zeitpunkt – so der Telegraph –, als Macron innenpolitisch unter Beschuss gerät. Er habe nämlich die Abgeordneten umgangen, um seinen Haushalt 2023 durch das Parlament zu bringen. Im Parlament hat er seit den letzten Parlamentswahlen keine Mehrheit mehr. Die Opposition kündigte daraufhin an, einen Misstrauensantrag zu stellen. Unwahrscheinlich, dass dies durchkommt, ist aber doch ein deutliches Zeichen, dass Macron nicht mehr wie ein Alleinherrscher schalten und walten kann.

Deutsche und französische Regierungsstellen spielten zwar die Angelegenheit herunter und sagten, sie bräuchten »mehr Zeit«, bevor sich die Staats- und Regierungschefs treffen – die ersten derartigen Beratungen seit Amtsantritt von Scholz. Doch unübersehbar ist der Zwist nicht zuletzt aufgrund jener grauenvollen Energiepolitik, die den europäischen Stromnetzen schon lange zu schaffen macht. Die Nachbarn schotten mit millionenteuren Stromsperren (Phasenschieber) ihre Netze gegenüber den deutschen ab, sodass keine plötzlichen und unerwarteten Strommengen aus den Windrädern mehr die Nachbarnetze empfindlich aus dem Gleichgewicht bringen. Dennoch sorgt die »Energiewende« auch auf den Märkten für erhebliche Verwerfungen.

Der Sprecher von Bundeskanzler Scholz, Steffen Hebestreit, räumte ein, dass es – so wörtlich – »eine Reihe von verschiedenen Themen gibt, mit denen wir uns im Moment befassen … und zu denen wir noch keine einheitliche Position erreicht haben«. Beide Seiten hielten es für »sinnvoll«, die Gespräche auf Januar zu verschieben.

Unter vier Augen – so wieder der Telegraph – sei die Sprache jedoch weniger diplomatisch ausgefallen. Danach seien die Franzosen spürbar sauer auf die Deutschen, vor allem auf Scholz. Sie sagten es nicht öffentlich, aber sie seien privat wütend, zitiert der Telegraph eine Brüsseler Quelle.

[inner_post 2] Auf französischer Seite werde unter anderem die Entscheidung Berlins beklagt, einen Großteil der zusätzlichen 100 Milliarden Euro an Militärausgaben für Standardwaffen aus den USA auszugeben, statt für neue EU-Verteidigungsprojekte zur Steigerung der Kapazitäten im eigenen Land, auf die Frankreich gedrängt hat. Macron sagte weiterhin, dass die Entscheidung, ein 200 Milliarden Euro schweres Unterstützungsprogramm gegen ausufernde Energiepreise einzuführen, zu »Verzerrungen« in der EU führen könnten.

Berlin wurde auch beschuldigt, eine Obergrenze für die Gaspreise auf EU-Ebene zu blockieren. Befürchtet werde, dass dadurch der Anreiz für die Verbraucher zum Energiesparen wegfallen und sich die Situation verschlechtern würde, sodass sich die Versorger andere Märkte suchen würden. Berlin seinerseits sei unzufrieden mit Paris, weil es das neue Pipeline-Projekt zwischen Portugal, Spanien, Frankreich und Deutschland wiederzubeleben, nicht unterstützt. Frankreich hält dies für zu kostspielig und unnötig, da das Land bereits über genügend Flüssiggasterminals an seiner Küste verfügt.

Bemerkenswert, wie schnell es Rot-Grün in Berlin geschafft hat, »ziemlich beste Freunde« gegen sich aufzubringen. Kein Jahr Amtszeit hat es gedauert.

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