Ricarda Lang gehört seit ihrem Rücktritt zu den klügsten Köpfen des Berliner Politbetriebs. In selbstkritischen Beiträgen setzt sie sich mit den Faktoren auseinander, die zu ihrem Aus als Vorsitzende der Grünen geführt haben. So wie nun in einer Kolumne, die sie für den Focus schreibt. Sie habe nur noch in Sprechblasen geredet, gesteht Lang selbst ein. Ihre Familie habe ihr mitgeteilt, dass sie sich mittlerweile wie ein Roboter anhöre. Sie selbst habe sich manches von dem, was sie gesagt hat, selbst nicht mehr geglaubt.
Lang schreibt, sie habe auf diese Sprechblasen gesetzt, um Fehler zu vermeiden. Das ist ein Grund, aus dem heraus sich Politiker heute oft wie Roboter anhören. Eine spontane, unglückliche Formulierung kann sie ihre gesamte Karriere lang begleiten. Also designen sie ihre Aussagen vorab und spulen sie herunter. Angesichts eines Medienbetriebs und sozialer Netzwerke, die keinen Fehler verzeihen und sie einem Jahre lang vorhalten, ist das eine durchaus nachvollziehbare Strategie.
[inner_post 1] Doch die Sprechblasen sind mehr als ein Sicherheitsnetz. Sie sind Ausdruck eines Politstils, zu dessen beliebtesten Ausdrücken „das Narrativ“ gehört. Dahinter steht die Idee, dass es nicht genügt, den Bürgern zu erzählen, dass man sieben Milliarden Euro Staatsausgaben einspart. Es muss dahinter auch eine Geschichte stehen, die der Wähler besser begreift als zum Beispiel abstrakte Zahlen. Auch das ist ein durchaus richtiger Gedanke.
Allerdings hat es der Politbetrieb mit diesem Gedanken übertrieben. Zum einen, weil er dadurch weniger authentisch wurde. Die rheinland-pfälzische SPD hatte sich zum Beispiel in den Jahren zwischen 2011 und 2016 daran gewöhnt, schlechte Nachrichten zugeben zu müssen. Den Sozialdemokraten war es dabei ins Blut übergegangen, diese negativen Meldungen in eine beschönigende Sprachregelung zu verpacken – so sehr, dass sie es auch bei Positivem taten. Anstatt zu sagen: „Hey, wir haben gute Nachrichten“, überlegten sie, wie sich die am besten zurechtrücken ließen. Wer am Ende nicht mehr glaubt, einfach mal ehrlich sein zu können, der wird von anderen auch nicht als ehrlich wahrgenommen. Karma ist eine harte Lehrerin.
Zum anderen führen die Sprechblasen zu einem Effekt, den Lang klar benannt hat: Das Volk versteht seine Politiker nicht mehr. Wenn sie zum Beispiel davon reden, einen Fortschritt in der Transformation der Wirtschaft erreicht zu haben, dann zeigen sie damit, dass sie vielleicht in ihrer inneren Blase gepunktet haben – und wirken für die Leute außerhalb dieser Blase fremder als Außerirdische.
[inner_post 2] Das Narrativ ist aber auch Ausdruck einer weiter reichenden Entwicklung. Immer mehr Politiker drängen in die Politik – und da gehört Ricarda Lang dazu – die nicht vom Fachlichen kommen. Ein Rechtsanwalt hat ein anderes Verständnis von Gesetzen als ein Laie. Ein Arzt von medizinischen Notwendigkeiten. Ein Handwerker, eine Verkäuferin oder ein Unternehmer von wirtschaftlichen Zusammenhängen. Politiker wie Ricarda Lang haben die besten Jahre ihres Lebens an Wahlständen, mit Plakatekleben und internen Diskussionen verbracht. Und mit einem Studium, das sie oft genug nicht einmal abschließen. Obwohl deutsche Universitäten die Latte immer tiefer legen.
Diese Tendenz bringt einen Politikertypus hervor, der sich sehr gut damit auskennt, ein Narrativ zu entwickeln und zu verbreiten. Der aber schnell damit überfordert ist, wenn er Politik machen muss – statt sie nur zu erzählen. Das beste Beispiel dafür ist „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne). Der kann so schön von Politik reden, das ebenfalls Fachfremden wie Caren Miosga die Augen glühen wie einem frisch verliebten Backfisch. Doch wenn Habeck Wirtschaftspolitik macht, schrumpft die Wirtschaft, fehlen Arbeitskräfte und steigt die Arbeitslosigkeit trotzdem.
Die FDP droht an dem Glauben an das Narrativ nun zu zerbrechen. Drei Jahre lang hat die Partei mit SPD und Grünen regiert. Mindestens zwei davon haben sich liberale Wähler gewünscht, dass die FDP mit Atomausstieg, offenen Grenzen, Verlängerung der Pandemie oder Selbstbestimmungsgesetz aufhört. Hätte sich Christian Lindner hingestellt und gesagt: Es war richtig und notwendig eine Koalition zu versuchen. Deutschland hat nach Angela Merkel eine Mehrheit ohne CDU gebraucht. Doch es hat nicht geklappt und wir beenden es, um weiteren Schaden zu verhindern. Dann hätte Lindner eine gute Chance gehabt, seine Partei in den nächsten Bundestag zu führen. Allzumal sich gezeigt hätte, dass die CDU unter Friedrich Merz genau diese grüne-rote Politik fortsetzen will – was jetzt tatsächlich geschieht.
[inner_post 3] Aber stattdessen hat sich die FDP in Sandkastenspiele begeben. Eine klare Aussage von Christian Lindner zur Ampel hätte nichts gebracht – so waren zumindest die Parteistrategen überzeugt. Stattdessen sollte es eine Anspielung hier geben und ein Interview dort, bis die Regierung implodiert. Alles nach einem kunstvoll erdachten Drehbuch, Konzeptpapier genannt. Aus alledem hätte sich dann dem Bürger erschlossen, warum die FDP mit SPD und Grünen bricht. Es ist nicht klar, ob es außerhalb des Sonnensystems Außerirdische gibt. Sicher ist, dass sie ein besseres Verständnis von den Menschen auf der Erde hätten, als es diesen FDP-Parteistrategen vergönnt ist.
Wie es stattdessen besser geht, zeigt auch ein Beispiel aus der FDP: Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie war Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Europawahl und erreichte ein Ergebnis über fünf Prozent – von dem Christian Lindner derzeit nur träumen kann. Inhaltlich steht sie klar für eine Eskalation des Ukraine-Krieges, sprachlich holzt sie gegen kritische Bürger und bringt diese zur Anzeige, wenn die im ähnlichen Ton zurückschlagen. Der Straftatbestand der Majestätsbeleidigung im Paragraph 188 hilft ihr dabei.
Es gibt gute Gründe, Strack-Zimmermanns Ton und Gebärden abzulehnen. Auch wollen viele Bürger keine weitergehende Unterstützung der Ukraine. Doch Strack-Zimmermann hat klare Kante im Wahlkampf gezeigt. Sie war zu verstehen und hat damit Erfolg gehabt. Sie hat sich das alte Prinzip Jürgen Möllemanns zu eigen gemacht: Wenn du in einen Raum mit zehn Leuten kommst und alle finden dich Mist, außer einem, der auf dich steht, dann hast du zehn Prozent. In Strack-Zimmermanns Fall waren 20 Menschen im Raum und 19 fanden sie Mist. Aber das reicht der FDP ja immer noch.
Narrative haben Erfolg gehabt. Sie sind notwendig, um komplizierte Politik einfach zu machen. „America First“ oder „Wir müssen die Ukraine unterstützen“ sind solche Narrative. Nur wenige verstehen, wie eine Taurus-Rakete funktioniert. Aber es steht eine Mehrheit dahinter, Putins Russland kein fremdes Land erobern zu lassen. Selbst „Wir schaffen das“ war ein erfolgreiches Narrativ. Auch wenn heute selbst die Claqeure aus ARD, ZDF und den entsprechenden Zeitungen Angela Merkel kritisch sehen. Der Satz hat ihr 2017 noch einmal geholfen, eine weitere Wahl zu gewinnen.
[inner_post 4] Doch genau in dem Satz liegt auch begründet, warum ein Narrativ auf Dauer nicht genug ist. Irgendwann muss die Politik Politik machen. Seit fast zehn Jahren glauben Politiker, Journalisten und Mietmäuler, es genüge, im Sinne des Narrativs jede negative Folge zu verneinen und die Situation schön zu reden. Poller auf den Weihnachtsmärkten, vermeintlich psychisch kranke Mörder und zwei Millionen Ausländer unter den erwerbsfähigen Empfängern von Bürgergeld sind die Folgen der unkontrollierten Einwanderung. Sie sind die Realität. An der muss der größte Feind des Narrativs irgendwann zerschellen: die Realität.
Die Befürworter der besagten Einwanderungs-Politik setzen darauf, dass ein Narrativ über all diese Folgen hinwegtäuschen kann. Sie irren sich. Dieser Irrtum zwingt sie zu einem Spagat. Zu Sprechblasen. Zu Medien, die von einem „Mann“ berichten, der eine Frau mit einem unbekannten Gegenstand erstochen hat. Zu staatlichen Institutionen, die Mördern schon nach wenigen Stunden die Schuldunfähigkeit zusichern können. Und zu Politikern, die behaupten, nichts habe dabei mit nichts zu tun.
Ein Narrativ lebt von Glaubwürdigkeit. Wenn die Realität genau das Gegenteil von der Erzählung berichtet, dann ist diese Erzählung nicht zu halten. Dann muss die Politik wieder Politik machen. In diesem Beispiel die unkontrollierte Einwanderung stoppen. Narrative hat es in den vergangenen Jahren mehr als genug gegeben. Es wäre höchste Zeit für mehr vernünftige Politik. Die hat den Vorteil, dass sie gar nicht erst lange erklärt werden muss – sondern einfach nur bekanntgegeben.
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