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"stereotype Ressentiments gegen den Balkan"

Warum sich Albaniens Regierungschef Edi Rama über Jens Spahn empört

26.05.2021

| Lesedauer: 2 Minuten
Der albanische Ministerpräsident Rama empört sich über den deutschen Gesundheitsminister. Dessen Hinweis auf die Rolle von Reisenden aus dem "Balkan" für die Pandemie in Deutschland rufe "stereotype Ressentiments" hervor. Die Affäre belegt den fortgesetzten Abschied der Politik von der Sachlichkeit.

Albaniens Ministerpräsident Edi Rama empört sich öffentlich über den deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn: „Es ist ein Skandal, dass ein deutscher Minister den Balkan öffentlich anprangert und damit auch Menschen mit Migrationshintergrund abwertet.“ Und weiter: „Ein deutscher Gesundheitsminister sollte sich darum kümmern, die deutsche Bevölkerung zu impfen und keine stereotypen Ressentiments gegen den Balkan hervorrufen, um eine offensichtlich schlechte Bilanz zu verteidigen.“

Was hat der Gesundheitsminister dem Balkan angetan? Welches stereotype Ressentiment hat Spahn hervorgerufen? Er hatte der Bild am Sonntag gesagt : „Wir haben aus dem vergangenen Sommer gelernt. Damals haben die Auslandsreisen, häufig Verwandtschaftsbesuche in der Türkei und auf dem Balkan, phasenweise rund 50 Prozent der Neuinfektionen bei uns ausgelöst. Das müssen wir in diesem Jahr verhindern.“

[inner_post 1] Es besteht zwar wahrlich wenig Anlass, Spahn wegen seiner gesundheitspolitischen Leistungen in der Corona-Pandemie gegen Kritik in Schutz zu nehmen. Aber gerade angesichts zahlreicher Versäumnisse, sollte man es eigentlich begrüßen, wenn ein Regierungspolitiker mit dem Eingeständnis eines alten Fehlers den ersten Schritt zur Besserung geht.

Warum regt sich Rama auf? Spahn hatte noch nicht einmal Albanien explizit genannt (zum Balkan gehören schließlich noch ein paar andere Länder). Der Volksmund weiß: Getroffene Hunde bellen. Natürlich weiß Rama, dass es da ein Problem seines Landes gab. Sonst hätte er sich durch Spahns Aussage gar nicht angesprochen fühlen müssen. Rama hätte aber auch ganz souverän auf die mittlerweile sehr niedrigen Inzidenzen in seinem Land hinweisen können, Tenor: Wir im kleinen, armen Albanien haben gelernt und die Pandemie mittlerweile besser im Griff als das große, reiche Deutschland.

Aber darum geht es offensichtlich eben nicht. Ramas (gespielte?) Empörung über die vermeintlichen „stereotypen Ressentiments gegen den Balkan“ bei einem deutschen Minister zeigt, dass er die Politikmechanismen Deutschlands kennt und für sich auszunutzen versucht. Dieser von ihm behauptete „Skandal“ ist charakteristisch für den politisch-medialen Betrieb der Gegenwart im Zeitalter der Pandemie: Wichtiger als die effektive Problembehandlung, also die sachliche Wirkung, nimmt man die emotionalen und moralischen Signale, die Politiker senden. Nicht ob einer das richtige tut oder unterlässt, wird zum Skandalgrund, sondern was er mit welchen Worten sagt.

Ganz offensichtlich hat Spahn in diesem einen Satz an etwas gerührt, das viele Meinungshabende hierzulande für tabu oder zumindest ganz besonders brisant halten: die Frage nach der Herkunft von Corona-Infizierten. Und sogleich macht ein eifriger Tagesspiegel-Redakteur sich dran, nachzuweisen, dass Spahns „50 Prozent“ nicht ganz korrekt seien, Spahn muss sich in einer Morgensendung bei RTL dafür rechtfertigen, und ein Premierminister glaubt, ihn womöglich zu einer Entschuldigung bewegen zu können. Damit könnte er sich vor heimischem Publikum dann natürlich brüsten.

Generell gilt mittlerweile ja die Frage „Wo kommen Sie her?“ bereits als Beleg für „Alltagsrassismus“. Da ist es nur konsequent, auch nicht zu fragen, wo Infizierte herkommen. Nur ist das eben in Pandemien bisweilen eine Frage, bei der es auch um die Gesundheit von Menschen oder sogar um Leben und Tod geht. Das Dogma der Herkunftslosigkeit sticht also letztlich sogar den Zweck, besonders gefährdete Migranten bestimmter Herkünfte vor der Infektion zu bewahren.

Wie schon bei der Aufregung um den hohen Anteil von Migranten unter den Intensivpatienten, scheinen die politmediale Empörungsbereitschaft über das Benennen bestimmter Auffälligkeiten und der Wunsch, sie zu verschweigen oder irgendwie weg zu argumentieren, deutlich ausgeprägter als der mediale Druck und damit auch der politische Wille, den Missstand zu beheben.

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