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Fakten zur Energiewende

Die Verteilung des Mangels

04.07.2025

| Lesedauer: 6 Minuten
Wälzung der Netzkosten, Subventionen, angebotsorientierte Versorgung – es kursieren viele Ideen zur „gerechten“ Verteilung des absehbaren Strommangels. Nur mit der bedarfsgerechten Erzeugung von Energie beschäftigt sich niemand

Wer bis 1990 in den sogenannten neuen Bundesländern lebte, kann sich  noch lebhaft erinnern: In der Zentralverwaltungswirtschaft kommt  es früher oder später zum Mangel. Doch dafür braucht es keinen Sozialismus: Wird die Marktwirtschaft mit ihren selbstregelnden Effekten  durch staatliche Interventionen erstickt, werden plötzlich auch in vermeintlich kapitalistischen Systemen massenhaft Autos gebaut, die weit  weniger massenhaft gekauft werden und auf Halde landen.

Unter dem Vorwand der globalen Klimarettung greift der deutsche Staat  heute kleinteilig in wirtschaftliche Prozesse ein und kennt dabei nur  zwei Instrumente: Verbote und Subventionen. Da politisch gewünschte  Technologien emissionsarm, aber nicht marktfähig sind, erfolgen Investitionen nur noch mit staatlichem Förder- oder umgeleitetem Verbrauchergeld. Ursprünglich unterstützte das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) den Aufbau der Stromerzeugung aus Sonne und Wind, heute  ist es das Back-up-System aus Netz- und Kapazitätsreservekraftwerken  (und künftigen Gaskraftwerken), das mit Staatsgeld gestützt werden muss, damit die volatile Naturenergie nicht permanent Blackouts produziert. Das System aus Erzeugung, Transport und Verbrauch kann also  in allen Bereichen nur durch Staatsgeld aufrechterhalten werden.

Die Verstetigung von Subventionen für unrentable Technologien setzt  die staatsplanwirtschaftliche Ineffektivität in Gang. Am Beispiel der  Windkraft: Mit Inkrafttreten des Stromeinspeisungsgesetzes 1991 begann die Förderung der Windkraft, damals unmerklich und unbedeutend aufgrund nur weniger Anlagen. Mit dem EEG im Jahr 2000 setzte  der umfangreiche Ausbau ein, ohne dass das EEG, eigentlich als Instrument zur Markteinführung gedacht, novelliert worden wäre. Bedenkt  man die 20-jährige Abnahme- und Strompreisgarantie heute in Betrieb  gehender Anlagen, ergibt sich ein Förderzeitraum für die Windkraft  von mehr als 50 Jahren. Ist eine Technologie nach so langer Zeit nicht  marktfähig, so ist sie ein totes Pferd, und man sollte absteigen und ein neues satteln. Stattdessen versucht man die bewährten Technologien  durch finanzielle Belastungen aus dem Markt zu drängen.

Zertifikatehandel wird zur Belastung

Der EU-CO2-Zertifikatehandel trifft Deutschland deshalb härter als andere europäische Länder. Die können häufig auf Kernkraft oder reichlich vorhandener Wasserkraft ausweichen. Aber vielleicht erreicht man  die Marktfähigkeit mit einer größeren Anzahl der Windkraftanlagen  am Ende doch? Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es so schön, aber leider wird sie in diesem Fall enttäuscht.

Denn es hat längst eine Selbstkannibalisierung eingesetzt. Bei gutem Wind wird so viel Strom ins  Netz gedrückt, dass der Großhandelspreis verfällt, teils bis zu negativen  Preisen. Das ist eine Form der Geldverbrennung und volkswirtschaftlich grober Unfug. Bei wenig Wind und guten Marktpreisen hingegen  können die Anlagen nur geringe Mengen liefern. Am Ende verdienen sie  am Markt nicht das Geld, um die steigenden Betriebskosten zu erwirtschaften. Sie bleiben ein Fall für die staatliche Geldinfusion.

Die EEG-Umlage war im Bundeshaushaushalt für 2024 mit etwa zehn  Milliarden Euro geplant, gebraucht wurde mehr als das Doppelte. 2025 steht ein Bedarf etwa in gleicher Höhe an, denn die EEG-Umlage ist gewissermaßen konsumtiv verwendetes Geld. Würde man für diese Summe einige Kernkraftwerke reaktivieren oder saubere Kohlekraftwerke  neu bauen, hätten wir kurz- bis mittelfristig wertschöpfende und sich  selbst tragende Anlagen.

Über die Jahre wurden viele Gesetze so reformiert, besser gesagt deformiert, dass heute weder Natur- noch Menschenschutz gegenüber dem  exzessiven Ausbau der Windkraft mehr gegeben ist. Zu nennen sind das  Investitionsbeschleunigungsgesetz (Verkürzung des Rechtswegs), das  Umweltrechtsbehelfsgesetz (Verschärfung), das Bundesnaturschutzgesetz (Einschränkungen des Naturschutzes) und das Baugesetzbuch  (uneingeschränkte Privilegierung der Windkraft).

Mit der Gewalt von Gesetzen

„Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen“, wusste schon Montesquieu, der große französische Begründer der politischen Philosophie. Mit einer steigenden Zahl an Gesetzen beginnt eine Interventionsspirale, denn jedes  neue Gesetz, jede weitere Verordnung verstärkt die Bürokratie und er- öffnet Umgehungstatbestände, denen wiederum kleinteilig begegnet  werden muss. Am Ende bekommt die Planwirtschaft einen so hohen  Preis, dass sie ineffektiv wird und Mangel erzeugt.

Um den zutage tretenden Mangel zu beherrschen, sind immer mehr  Gesetze nötig. Sieht man die Novelle des Atomgesetzes (Atomausstieg)  und das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) als ursächlich  für die eingetretene Entwicklung an, so waren das Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz (EKBG) mitsamt der – inzwischen ausgelaufen –  Sicherheitsbereitschaft für Braunkohlekraftwerke die Folge, und das  noch zu verabschiedende Kraftwerkssicherheitsgesetz (KWSG) als Konsequenz der verschleppten Kraftwerksstrategie ist ein weiteres Ergebnis.  Milderung sollte auch das Energieeffizienzgesetz (EnEfG) bringen, ein  Wolf im Schafspelz. Es beinhaltet weniger Fragen der Effizienz, sondern deckelt den Energiebedarf. 22 Prozent Einsparung bis 2030 sollen erreicht werden, was aber durch Effizienzsteigerung nicht erreicht werden kann. Dieses Gesetz verhindert nicht nur Wachstum, es beschleunigt die Deindustrialisierung. Dennoch traut sich niemand, an den Ursachen EEG, Atom- und Kohleausstiegsgesetz zu rütteln.

Die „große Transformation“ wird politisch wie medial als alternativlos  begrüßt, offenbar in Unkenntnis dessen, was sie eigentlich bedeutet. Umso unerwarteter war daher eine deutliche Aussage von RWE-Chef Markus Krebber, der die deutsche Stromversorgung im Fall einer  Dunkelflaute an den Grenzen sieht. Wer sich für den Verlauf der nationalen Energiewende interessiert, war nicht überrascht, diese Fakten  sind nicht neu. Überrascht kann man sein, dass die anderen – Eon,  Uniper, LEAG, die Übertragungsnetzbetreiber, Stadtwerke, Politiker,  Gewerkschaften – dröhnend schweigen und eine Gefahr nicht erkennen wollen.

Kein Wunder. Im oberen Management gibt es keinen Kündigungsschutz; die Vorstände von Aktiengesellschaften werden von Aufsichtsräten berufen und abberufen. Die Aufsichtsräte sind indes häufig mit  aktiven oder ehemaligen Politikern besetzt. Politisch unbequeme Aussagen werden deshalb vermieden, Regierungskritik sowieso – man will  ja, dass der Vertrag verlängert wird. Die Schweigespirale sorgt dafür,  dass nur wenige Klartext reden.

Management des Mangels

Die grüne Elite entwickelt unterdessen Ideen, wie der Mangel gestaltet werden könnte. Einige der Ideen würden die ehemaligen Mitglieder der staatlichen Plankommission der DDR anerkennend nicken lassen. Die Bundesnetzagentur erwägt die Einteilung Deutschlands in Zonen.  Fünf Preiszonen sollen Standortentscheidungen für Neuinvestitionen  beeinflussen. Über abgestufte Baukostenzuschüsse für Netzanschlüsse  sollen Investitionen in den Norden gelenkt werden, wo (zeitweise) viel  Windstrom anfällt. Das erspart den Transport in den Süden und einen  Teil des Netzausbaus, hofft man. Verlierer wären die südlichen Bundesländer mit hohen Anschlusskosten.

Üblicherweise geht im Westen die Sonne unter, künftig gehen die Lichter womöglich eher im Süden aus. Das Bundeskartellamt stellt in seinem Marktmachtbericht zur Stromerzeugung 2023/2024 fest: „Perspektivisch dürfte die wettbewerbliche Bedeutung der verbleibenden dargebotsunabhängigen Kraftwerkskapazitäten der großen deutschen Stromerzeuger für die Deckung der Nachfrage wieder zunehmen. Hintergrund  ist der geplante, … auch teilweise schon umgesetzte Rückbau dargebotsunabhängiger Kraftwerkskapazitäten. … gegen Ende des Berichtszeitraums und danach wurden insgesamt rund 11,4 GW dargebotsunabhängiger Kraftwerkskapazitäten (wieder)abgeschaltet … Bis 2026 sollen  im Saldo weitere rund 4,4 GW Kraftwerksleistung abgeschaltet werden.  Dem stehen Neubauten und in diesem Zeitraum zu realisierende Neubauprojekte in Höhe von lediglich rund 1,6 GW gegenüber.“

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller (Grüne), sah im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen“ allerdings eher durch ein Überangebot von Solarstrom im Süden eine Gefahr heraufziehen. Die  Frage, ob Blackouts drohen, umging er mit: „Ich mache mir Sorgen um  technischen und finanziellen Stress. Mehr als diese Formulierung werden Sie von mir als Präsident der Bundesnetzagentur nicht hören.“ Den  Start von Ausschreibungen für Gaskraftwerke Anfang 2025 hält er für unmöglich, eher für 2026. Das ist schlecht für den Süden, aber die CSU unterstützte die Stromwende von Anfang an. Auch der stark nachhängende Netzausbau und der Kohleausstieg setzte bei der CSU in den darauf folgenden Jahren kein Nachdenken in Gang.

Hü und hott aus der CSU

Der damalige bayerische Umweltminister Markus Söder drohte 2011 sogar mit Rücktritt, wenn der Atomausstieg nicht bis 2022 komme. Er sah  dann jahrelang tatenlos zu, wie in seinem Land und deutschlandweit gesicherte Kapazitäten abgebaut wurden. Oder er glaubte tatsächlich, die  zahlreichen Photovoltaikanlagen seien ein Ersatz? Dass Windkraftanlagen in Bayern aufgrund der niedrigen Windgeschwindigkeiten sowohl  ökonomisch wie ökologisch und auch hinsichtlich der Versorgungssicherheit sinnlos sind, hat er offenbar immer noch nicht realisiert.

Wie könnte man den Kurs ändern? Mit etwas Kosmetik ist es für die  neue Koalition nicht getan. Konkrete Vorschläge enthält ein offener  Brief des Aktionskreises Energie und Naturschutz und des Deutschen  Arbeitgeberverbands, der vor den Wahlen an die Parteispitzen von CDU  und CSU gerichtet wurde. Die mögliche Reaktivierung einiger Kernkraftwerke wurde in einer Studie der Radiant Energy Group untersucht.  Neun Anlagen könnten mit einem einmaligen Aufwand von 20 Milliarden Euro in den Leistungsbetrieb zurückgeholt werden – dies ist weniger als die steuerfinanzierte EEG-Umlage eines Jahres. Der Mangel würde gemildert, die Emissionen gesenkt, die Abhängigkeit vom Ausland  verringert, die Strompreise gedämpft. Dem gegenüber steht eine reaktionäre 80er-Jahre-Ideologie, die sich völlig überlebt hat, aber von den  etablierten Parteien noch mitgetragen wird. Das ist Mangel an Wissen, Realitätssinn und Charakter.

Kanzler Friedrich Merz hält heute eigentlich alle Machtoptionen in der Hand. Er nutzt sie aber nicht, weil ihm die Brandmauer heilig ist. Dringende politische Entscheidungen werden deshalb nicht getroffen. In der  Energiepolitik wird das verheerende Folgen haben. Die Ablenkungstaktik, Putin als Universalschuldigen zu benennen, ist allzu durchsichtig. Putin hat nicht den deutschen Kernkraftausstieg verursacht, nicht  den Kohleausstieg und nicht die Nutzung der eigenen riesigen Erdgasreserven verboten. Das Land hat sich selbst gefesselt. Wahrscheinlich  braucht es tatsächlich einen Blackout, bis sich wirklich etwas ändert.


Dieser Beitrag von Frank Hennig ist ein Auszug aus:
Tichys Einblick Spezial, Der Klima- und Energie-Komplex. Fakten zur Energiewende und den Folgen der Klimaideologie. Holderstock Media, Paperback, 140 Seiten, durchgehend vierfarbig, illustriert, 14,80 €.


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