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Journalistischer Anspruch und Wirklichkeit

Die „rechtsextremen“ Phantome von Kongsberg

15.10.2021

| Lesedauer: 2 Minuten
Auch beim Attentat von Kongsberg spielt nicht redliche Berichterstattung, sondern das Narrativ die Hauptrolle. Während internationale Medien auf eine Trollerei der Twitterszene reinfallen, jagt der öffentlich-rechtliche Rundfunk rechtsextreme Täter, die nie am Tatort waren. Schludrige Recherche und ideologisches Framing geben sich die Klinke in die Hand.

Das Attentat in der norwegischen Stadt Kongsberg hat Norwegen und Europa schockiert. Die Polizei stellte sich auf den Standpunkt, nur die nötigsten Informationen zu liefern, um die Ermittlungen nicht weiter zu behindern. Auch medial heißt es in solchen Fällen: keine voreiligen Schüsse, abwarten und recherchieren. Schließlich gehört es sich nicht für Qualitätsmedien, nur zu „googlen“ statt zu „recherchieren“. Man „checkt“ Fakten, man schaut auf das ganze Bild.

Wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderdriften, zeigt jedoch das tatsächliche Verhalten der Journalisten. Sie lechzen nach jedem Detail. Besonders, wenn es in das Schema passt. So geschehen, als der vermeintliche Name des Täters im Netz kursierte. Was die Journalisten nicht wussten: es handelte sich um eine Trollerei der deutschen „Siftwitter“-Community, die Bilder des als „Drachenlord“ bekannten Youtubers Rainer Winkler hochluden, und behaupteten, es handele sich um Fotos des Täters. In Windeseile schrieben die Journalisten voneinander ab – und verhalfen dem vermeintlichen Attentäter „Rainer Winklarson“ von Kongsberg zur Berühmtheit.

Die griechische Sonntagszeitung Proto Thema, die große französische Regionalzeitung Sud Oest und selbst Corriere della Sera – zusammen mit der Repubblica die wichtigste Tageszeitung Italiens – sind auf die Trollerei reingefallen. Plötzlich eroberte „Rainer Winklarson“ die Welt. Das Narrativ war auch zu verführerisch: ein übergewichtiger, weißer junger Mann trat in die Fußstapfen von Anders Breivik. Das linke Narrativ, dass der Rechtsextremismus die größte Bedrohung Europas sei, schien sich zu bestätigen.

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Doch selbst als der Fall aufflog und am Donnerstagmorgen durchsickerte, dass nicht die neue rechte Gefahr, sondern die alte islamische Bedrohung an die Tür geklopft hatte, stand die Aufarbeitung nicht an erster Stelle des Journalismus. Dass ein Haufen destruktiver Internetjunkies das Kongsberg-Attentat mit Fake News in bestimmte Fahrwasser gelenkt hatte, wurde zwar auch in den deutschen Medien rezipiert. Doch das ZDF wollte noch einen draufsetzen.

Acht Stunden nachdem die Polizei den Hintergrund des Täters geklärt hatte, war sich ZDF-Korrespondent Henner Hebestreit sicher: „Das alles erinnert doch viele in Norwegen an den rechtsextremistischen Terror des Anders Breivik, dessen Taten man am zehnten Jahrestag im Juli gefeiert (sic!) hat und dessen Opfer man auch gedacht hat. Jetzt also Kongsberg.“ Bei all der moralischen Erschütterung kann man schon mal vergessen, die Konversion des Täters zum Islam zu erwähnen. Was nicht passt, wird passend geframed. Offensichtlich steht nicht das Attentat im Mittelpunkt der Berichterstattung, sondern der Kampf gegen rechtsextreme Phantome.

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