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Teufelskreis der Gesinnungspolitik

Die Moralisierung schadet der deutschen Klima- und Energiepolitik

von Gastautor

09.05.2021

| Lesedauer: 18 Minuten
Eine vernünftige, sachliche und lösungsorientierte Klima- und Energiepolitik wird durch die reflexhafte Moralisierung immer schwieriger. Es gibt nicht mehr richtige und falsche Konzepte, sondern nur noch gute und böse Akteure. Ergebnis ist eine eine unheilvolle gesellschaftliche Selbstbeschränkung. Von Rupert Pritzl und Fritz Söllner

Die Warnung des Philosophen Hermann Lübbe vor einer zunehmenden »Neigung, auf die Herausforderungen von Gegenwartsproblemen moralisierend zu reagieren«, die dieser schon 1984 in einem Vortrag aussprach, ist heute aktueller denn je. Nicht ohne Grund wurde der auf diesem Vortrag basierende Essay 2019 wieder veröffentlicht. Denn der gesellschaftliche Diskurs in Deutschland wird in vielen Politikbereichen von einem politischen Moralismus geprägt, der eine unvoreingenommene, kritische und sachlich geführte Diskussion behindert bzw. unmöglich macht. Dies wird ganz besonders in der Klima- und Energiepolitik sichtbar, die durch hohe Emotionalisierung und Moralisierung gekennzeichnet ist. Sie beruht auf wenigen emotionalen Großentscheidungen: der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000; dem Ausstieg aus der Kernenergie nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011; und dem im Gefolge der »Klimahysterie« von 2019 beschlossenen Ende der Nutzung der Kohleenergie im Jahr 2020.

Wenn man – wie Hermann Lübbe – den politischen Moralismus als die Aufforderung interpretiert, »dem Verstand zu gebieten, doch endlich den Mund zu halten«, so wird schnell klar, dass sich eine moderne Gesellschaft mit einem politischen Moralismus in eine unheilvolle gesellschaftliche Selbstbeschränkung hineinmanövriert, in der Sachargumente nicht mehr zählen und eine sachliche gesellschaftliche Diskussion in vielen Bereichen nicht mehr möglich ist. Der politische Moralismus kann daher als Paradebeispiel für die schon von Max Weber kritisierte Gesinnungsethik gelten, was schon aus dem Untertitel von Lübbes Essay deutlich wird. Der politische Moralismus stellt gewissermaßen die typische Erscheinungsform der Gesinnungsethik im Bereich der Politik dar.

Die vier Aspekte des politischen Moralismus und ihre Rolle in der aktuellen Klima- und Energiepolitik

Lübbe identifiziert vier wesentliche Charakteristika des politischen Moralismus. Alle vier lassen sich unschwer in der aktuellen Klima- und Energiepolitik wiederfinden. Mehr noch, sie prägen diese Politik so stark, dass dieselbe als der Idealtyp einer moralisierenden Politik gelten kann.

Erstens gehört zum politischen Moralismus »die zivilisationskritische Praxis, die Folgelasten moderner Zivilisationen, die in etlichen Lebensbereichen inzwischen rascher als ihre Lebensvorzüge wachsen, statt als entwicklungsbegrenzende Kosten als Beweis für die geschichtsphilosophische These zu interpretieren, dass die moderne Zivilisation das Endstadium einer bis in die Moral unseres kulturellen Naturverhältnisses hinreichenden Verfallsgeschichte sei«.

Als Ursache für die Klimakrise wird in der öffentlichen Diskussion häufig die niedrige Gesinnung vieler Menschen genannt. Das Klima werde destabilisiert, weil böswillige und rücksichtslose Menschen das Klima absichtlich gefährden oder eine Gefährdung desselben zumindest in Kauf nehmen würden, um ihre egoistischen Ziele zu verfolgen – zu Lasten ihrer umweltbewussten und gutwilligen Zeitgenossen und zu Lasten künftiger Generationen.

Typisch für diese Art der Schuldzuweisung ist die wütende Anklage von Greta Thunberg: »How dare you!« Die Aussage, dass der Klimawandel »menschengemacht« sei, und die zumindest zum Teil auch zutrifft, wird weitergehend interpretiert und in dem Sinn gebraucht, dass der Klimawandel das Produkt von Vorsatz und Fahrlässigkeit, also ein Produkt absichtlichen Handelns sei. Eine solche Kausalattribution ist einfach und bequem; sie schafft ein klares Feindbild; und sie motiviert die »Klimaaktivisten« durch emotionale Appelle an die Verworfenheit der anderen und die eigene moralische Überlegenheit. Aber sie ist falsch.

Negative Zivilisationsfolgen, wie etwa die Gefährdung des Klimas, haben in der heutigen Welt »überwiegend die handlungstheoretische Charakteristik von Nebenfolgen«. Damit ist nicht gemeint, dass es sich um unwichtige oder vernachlässigbare Phänomene handelt, sondern dass dieselben nicht bewusst herbeigeführt wurden; vielmehr treten sie typischerweise als unbeabsichtigte Konsequenz der Verfolgung anderer, häufig allgemein akzeptierter Ziele auf. Die Chinesen bauen keine Kohlekraftwerke, um den Gehalt der Atmosphäre an Treibhausgasen zu erhöhen, sondern um ihre Wirtschaft verlässlich und günstig mit Energie zu versorgen und um so hunderte von Millionen von Menschen aus der Armut zu befreien und ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Und der deutsche Autofahrer nutzt einen Diesel-PKW nicht, um Feinstaub und CO2 in die Luft zu blasen, sondern weil dieser sein Mobilitätsbedürfnis am besten befriedigt, ihm also den besten Kompromiss aus Anschaffungskosten, Unterhaltskosten, Reichweite, Fahrleistung und Komfort bietet.

Eine solche Sicht der Dinge würde vielleicht die Klimaaktivisten dazu bringen anzuerkennen, dass auch sie selbst von dem zivilisatorischen Fortschritt profitieren, der durch die Verfolgung des eigentlichen Ziels der Wirtschaftspolitik der westlichen Industrieländer, nämlich dem der Steigerung der wirtschaftlichen Wohlfahrt, erreicht wurde – und dass deshalb für die »Nebenfolgen« letztlich die gesamte Gesellschaft verantwortlich ist.

Sowohl im Sinn des gesellschaftlichen Friedens als auch der Erarbeitung von Lösungen zur Bewältigung der »Nebenfolgen« ist es wenig zielführend, mit moralischen Anklagen und mit Schuldzuweisungen zu arbeiten. Stattdessen ist es notwendig, die Komplexität der modernen, arbeitsteiligen und ausdifferenzierten Gesellschaft und die vielfältigen Interdependenzen zwischen dieser und ihrer natürlichen Umwelt anzuerkennen. Das mag zwar anstrengender und emotional weniger befriedigend sein, als die Welt in »Böse« und »Gute« einzuteilen, ist aber die Grundvoraussetzung für eine rationale Lösung des Klimaproblems und anderer komplexer Probleme.

Zweitens ist ein Kennzeichen des politischen Moralismus »die rhetorische Praxis des Umschaltens vom Argument gegen Ansichten und Absichten des Gegners auf das Argument der Bezweiflung seiner moralischen Integrität; statt der Meinung des Gegners zu widersprechen, drückt man Empörung darüber aus, dass er sich gestattet, eine solche Meinung zu haben und zu äußern«.

Wenn man die Ursache der Klimakrise in einer »klimaschädlichen« Gesinnung sieht, dann ist es mehr als naheliegend, die moralische Integrität und den guten Willen der so Gesinnten zu bezweifeln. Deshalb verdienen es deren Ansichten und Argumente nicht, angehört und diskutiert zu werden, sondern diese müssen unterdrückt und unschädlich gemacht werden, damit nicht Gutgesinnte zum Zweifeln gebracht und Unsichere auf Abwege geführt werden.

Es ist daher gängige Praxis, dass kritischen Stimmen zur Energie- und Klimapolitik nicht angehört, sondern mit Vorwürfen zum Schweigen gebracht werden sollen, die von »Totengräber der Energiewende« über »Klimawandelleugner« oder gar »Klimaleugner« (eine in letzter Zeit sehr beliebte, aber an Unsinnigkeit kaum zu überbietende Bezeichnung) bis hin zu »Klimaverbrecher« reichen. Gemeinsam ist allen diesen Totschlag»argumenten«, dass sie die moralische Gesinnung der Kritiker höchstpersönlich in Abrede stellen bzw. dieselben von vornherein grundlegend diskreditieren und so keine sachliche Auseinandersetzung zulassen. Nicht die argumentative Entgegnung in der klimapolitischen Diskussion wird beabsichtigt, sondern die Diskreditierung und moralische Entwertung der Person des Gegenübers. Für diesen ist diese Stigmatisierung meist nur schwer behebbar und bedeutet womöglich sein gesellschaftliches Aus, mit der Folge, dass er ad personam an keiner öffentlichen Diskussion mehr teilnehmen kann.

Auf diese Weise wird mittels Emotionalisierung, Moralisierung und »Personalisierung« der öffentlichen Debatte eine vernünftige und sachliche Diskussion unmöglich gemacht. Gegenstand einer solchen müsste einerseits die Notwendigkeit bzw. Sinnhaftigkeit klima- und energiepolitischer Ziele, andererseits die Auswahl der zur Erreichung dieser Ziele geeigneten Instrumente sein. Die hierbei maßgeblichen Kriterien wären die Effektivität und die Effizienz der Energie- und Klimapolitik in Bezug auf das eigentliche Ziel derselben, das doch unbestreitbar in der weltweiten Verringerung der Treibhausgasemissionen liegt. Da die aktuelle Politik aber diesen Kriterien ganz offensichtlich nicht genügt, sind deren Vertreter an einer offenen und kritischen Diskussion letztlich gar nicht interessiert.

Man könnte hier von einem Teufelskreis zwischen der Art der Politik und der Art der Politikdiskussion sprechen: Einerseits trägt eine moralisierende Debatte zu einer irrationalen Politik bei; andererseits befördern die Vertreter und Nutznießer dieser Politik die Moralisierung der öffentlichen Diskussion nach besten Kräften.
Zu einem wesentlichen Teil mitverantwortlich für die Art und Weise, wie in Deutschland über die Energie- und Klimapolitik diskutiert wird, ist die Berichterstattung in den Medien. Denn diese beschäftigt sich häufig weniger mit der Aufarbeitung und Darstellung des komplexen Sachzusammenhangs und aktueller Forschungsergebnisse, sondern konzentriert sich vor allem auf die Skandalisierung der Folgen der Erderwärmung und auf die emotionale bzw. emphatische Darstellung von Einzelschicksalen (»Emotionalisierungsstrategie«). In Deutschland sehen sich die Journalisten verpflichtet, vor allem über die Risiken des Klimawandels zu berichten und dabei die bestehenden Unsicherheiten bezüglich der Forschungsergebnisse – aus hehren Klimaschutzmotiven (»noble cause corruption«) – eher zu verschweigen. Knapp zwei Drittel der im Jahr 2014 befragten Journalisten geben an, mit ihrer Berichterstattung die Notwendigkeit ökologischer Reformen in Politik und Wirtschaft hervorheben zu wollen. Journalisten geben damit ihre investigative Funktion und ihre fachlich-unabhängige Position auf und machen sich selbst zu Sprachrohren der Politik und betreiben vor allem affirmative kritiklose Politikbeschreibung und einseitige Krisenrhetorik.

Die Klimadebatte in Deutschland ist daher weniger geprägt von fundiert recherchierten Fakten und ausgewogener Berichterstattung, als vielmehr von der politisch-wohlmeinenden Gesinnung der Journalisten und der Moralisierung der Berichterstattung. Statt investigativem Journalismus sehen wir einen (vermeintlich) wohlmeinenden »Haltungs- bzw. Gesinnungsjournalismus« mit einer eklatanten politischen Unausgewogenheit.

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