Es zählt die Truppe des Tagesspiegel dazu, die mit Hilfe von anonymen Informanten, von Gerüchten, Gerauntem und Gelogenem die Initiatoren der Video-Aktion #allesdichtmachen, die widersprüchliche staatliche Coronamaßnahmen verspottete und persiflierte, in die Nähe von Rechtsradikalen rückten. Dem Unternehmer und Sprecher der Grundrechtsinitiative „1bis19“ Paul Brandenburg unterstellte das Blatt, ein „Demokratiefeind“ zu sein (ohne jeden Beleg) und hinter der Aktion #allesdichtmachen zu stehen (frei erfunden). Dem denunziatorischen Bericht folgte die Drohaktion einer SPD-Bundestagsabgeordneten, die dazu führte, dass der Vermieter dem angeblichen Antidemokraten Brandenburg die Geschäftsräume kündigte. In solchen medial-politischen Kollusionen geht es längst nicht mehr um Meinungen. Sondern darum, Gegner zu markieren und, wenn es sich irgendwie machen lässt, sie sozial zu vernichten.
Noch eine andere Stufe erreichen die Agendavertreter, die in den öffentlich-rechtlichen Sendern Vertreterinnen des politischen Islam inklusive antisemitischer Überzeugungen anheuern. Beide Seiten – Leute wie Nemi El-Hassan sowie diejenigen, die sie in die Anstalten holen und dort gegen jede Einwände halten – wissen genau, was sie tun. Da gilt nicht ‚nie wieder‘, sondern das Prinzip: immer mehr. Wenn die WDR-Programmdirektorin Valerie Weber in einer internen Mail zum Fall El-Hassan schreibt: „Hinter den Kulissen sind wir mit der Kollegin weiter im direkten Austausch“, davon, dass der Sender erst einmal die „Pausetaste“ gedrückt hätte, bis die Kritik sich legt, und weiter schreibt: „Wer Quereinsteiger:innen eine Chance geben will und Diversität fördert, hat dann als potenzieller Arbeitgeber eine gewisse Fürsorgepflicht, kulturelle Konflikte auch gemeinsam zu durchlaufen“, dann klingt das schon wie die plastifizierte Konzernsprache in Eggers „Every“. Eine Kulturkämpferin, die zu anderen Kulturkämpfern im Sender stößt, ist eine Garantin für „Diversität“, Antisemitismus ein „kultureller Konflikt“, und der Versuch, die Kaderpolitik hinter den Kulissen durchzusetzen, „Fürsorgepflicht“.
Wenn man die Ansichten der Journalisten mit illiberaler Agenda aneinanderlegt, entsteht ziemlich schnell ein größeres Bild. Dort geht es um große Gesellschaftstransformationen hin zu einem identitätspolitischen Ständestaat, zu einer zentralen technokratischen Lenkung im Namen des Klimas und generell zu einem großen Bündnis aus Staat, Unternehmen und Organisationen, das alle anderen auf den richtigen Pfad bringt. Da es sich um ein alternativlos gutes Ziel handelt, ist zu dessen Durchsetzung prinzipiell auch jedes Mittel recht. Die Idealgesellschaft dieses Milieus ähnelt eher nicht einem DDR-Abziehbild, um Mathias Döpfners geleakten Satz einmal aufzunehmen, sondern dem Zustand in Eggers Roman, in dem Konzern, Politik, universitäre Stichwortgeber und rudimentäre Journalisten zu einer großen Einheit fusionieren, die alles bekämpft, was sich ihrem wohlmeinenden ordnenden Zugriff entzieht.
Illiberalität gilt den Vertretern dieser Richtung nicht mehr als wirkliches negatives Wort, auch wenn sie es nicht gern hören.
Als Modellfigur dieser neuen Welt bietet sich beispielsweise Melanie Brinkmann an, als Virologin Wissenschaftlerin, als führendes Mitglied in Angela Merkels Corona-Beraterstab Politikerin, als hochfrequenter Talkshow- und Interviewgast auch Medienfigur. In einem Videogespräch kriegte sie sich kürzlich gar nicht mehr ein über den ungeordneten Zustand der Öffentlichkeit. Es sei doch „völlig ungefiltert“, was Menschen (also diese chaotischen, schwer zu kontrollierenden Gesellschaftseinheiten) in den Medien und im Internet sähen. Dass „jeder ins Netz stellt, was er will“, sei ein „Riesenproblem“, und dieses Problem müsste jetzt endlich mal final gelöst werden, zum Vorteil der besseren Krankheitsbekämpfung – aber grundsätzlich lassen sich an dieser Stelle auch die Chiffren Klima oder Antirassismus problemlos einsetzen.
Am schönsten fasste bisher Malte Lehming vom Tagesspiegel das Journalismus-Selbstverständnis neuen Typs in einem Text zusammen, mit dem er sich gegen den Vorwurf wehrt, Medien stünden der Regierung zu nah: „Medienschelte solcher Art düngt den Boden, der auch Verschwörungsmythen sprießen lässt … In der Flüchtlingskrise ging es um Verfolgung, Not und Elend. In der Coronakrise geht es um Leben und Tod. Wenn in derart existenziellen gesellschaftlichen Situationen das Gros der deutschen Journalisten moralisch ähnlich empfindet wie das Gros der Parlamentarier, dann hat das nichts mit freiwillig vollzogener Gleichschaltung zu tun, sondern ist Ausdruck einer Wertegemeinschaft.“
Auch in der Klimadebatte steht bekanntlich alles zwischen Leben und Tod, genau so beim Gegen-Rechts-, Rassismus- und Kolonialismus-Thema, wo immer wieder rituell mal „Hanau“ gerufen wird, ob es nun um einen rechten Kleinstverlag auf der Buchmesse geht oder um Kritik an Identitätsideologen geht. Gemeinsam mit der Mehrheit der Parlamentarier moralisch empfinden und alle wichtigen Themen zu einer Sache auf Leben und Tod erklären – das ist jedenfalls der Tod des kritischen Denkens.
Die Agenda-Vertreter besitzen als einzige Gruppe im Medienbetrieb überhaupt das Handwerkszeug, um Politiker zu stürzen. Dass sie sich beispielsweise gegen Angela Merkel wenden, hätte theoretisch passieren können, und zwar dann, wenn sie sich irgendwann auf einen Konfrontationskurs zu den wesentlichen Zielen dieses Kreises begeben hätte. Diese Gefahr bestand natürlich nie. Kein europäischer Politiker der letzten Jahrzehnte stimmte Rhetorik und Handeln so perfekt auf dieses Konglomerat ab, niemand nutzte es so kundig für die eigene Machtsicherung, sodass sich zwischen beiden wie im Ying-Yang-Kreis eine Art Rotationssymmetrie mit fließenden Grenzen herausbildete. Merkel machte in ihrer praktischen Art auch gleich Nägel mit Köpfen, indem sie mit Millionen aus ihrer Regierungskasse die „Neuen Deutschen Medienmacher“ bezahlte, eine Truppe von Identitätspolitikkadern, die sich gleichzeitig als journalistische Prätorianergarde für die Kanzlerin betätigte. Weswegen musste Sebastian Kurz eigentlich gerade zurücktreten? Große Medien mit entsprechendem Eigengewicht hätten diese Praxis der institutionalisierten Bestechung mit Staatsgeld längst zum Thema gemacht. Bei Merkel hätte es auch genügend andere Punkte gegeben, die sie bei einer funktionierenden Medienöffentlichkeit entweder nie hätte so durchsetzen können oder die zu ihrem Sturz geführt hätten. Ihre Behauptung von 2015, der Staat könne die Grenzen nicht kontrollieren, war sicherlich die dreisteste und folgenreichste Lüge eines deutschen Regierungschefs nach 1945. Eine Lüge übrigens, die sie dann selbst in der Coronazeit dementierte, als plötzlich sogar eine Kontrolle wiedereinreisender Urlauber möglich war.
Bei den Affären von Olaf Scholz, von der Leyen oder Jens Spahn gilt grundsätzlich das gleiche Prinzip: Jede einzelne Verstrickung dieser Sorte hätte noch vor 30 Jahren zum Rücktritt des Politikers geführt, oder zumindest jede Ambition auf einen höheren Posten zerstört. Jetzt nicht mehr.
Nachwuchsjournalisten, die selbst kaum noch Medien konsumieren und sich vorwiegend auf Instagram informieren, Innerlichkeitskolumnisten, die sich mit dem toxischen weißen Mann und ihren eigenen Affekten befassen, werden sich nicht im Traum und erst recht nie im Leben durch Cum-Ex-Akten und Untersuchungsausschussprotokolle oder durch Unterlagen von Spahns Maskengeschäften wühlen. Genauso wenig wie diejenigen in der Branche, die noch nicht einmal ein Innerlichkeitsthema beackern, sondern nur irgendwie die nächste Sparrunde des Verlags überstehen oder schnell auf einen anderen Posten abspringen möchten. Dieses Motiv sollte übrigens nicht unterschätzt werden. Allein aus dem Medium, für das ich lange gearbeitet hatte, gingen zwei stellvertretende Regierungssprecherinnen hervor, mehrere Ministeriumssprecher, und auf jeden, der es schafft, kommen ungefähr fünf, die darauf hoffen.
Die Regression ins Innerliche oder demonstrativ Ahnungslose dient bei vielen einfach dazu, sich die einzige in Frage kommende Berufsalternative nicht zu verbauen. Und dort, wo die Agenda den Journalismus beherrscht, genügt ein dringender Verdacht auf Interessenskonflikt und Korruption eben nicht mehr für eine Titelgeschichte. Sondern es stellt sich immer die Frage, ob eine Kampagne gegen eine bestimmte Person auch wirklich zu übergeordneten Zielen passt. Politiker stürzen heute nicht mehr durch eine Titelgeschichte allein, sondern nur noch durch große konzertierte Aktionen, in denen synchrones mediales Dauerfeuer, politisches Echo, Twitterempörung und am besten noch Aktivismus auf der Straße für längere Zeit zusammenfinden.
In Jens Spahns Fall ist es gar nicht so, dass noch besonders tief gegraben werden müsste. Es liegen längst Dokumente vor, aus denen hervorgeht, dass er der eng mit der CDU vernetzten Logistikfirma Fiege im Sauerland Vorzugskonditionen verschaffte, dass die Tochter eines früheren CSU-Politikers das Maskengeschäft des Bundesgesundheitsministeriums mit dem Schweizer Unternehmen EMIX einfädelte, dass Spahn von EMIX selbst noch zu einem Zeitpunkt teure Masken von EMIX kaufte, als er und seine Leute längst wussten, dass sie zu viel bestellt hatten und die Ware gar nicht mehr brauchten. Journalistenfragen, ob jemand bei der Finanzierung seiner Villa behilflich war, beantwortet Spahn nicht. Das alles lässt sich beispielsweise hier und hier und hier nachlesen. Und auch an anderen Stellen. Aber reicht eben nicht zu seinem Sturz, solange das übergeordnete moralische Empörungselement fehlt. Was allerdings nicht bedeutet, dass er endgültig aus dem Schneider wäre. Angenommen, er würde sich gegen eines der großen Agendaziele wenden – also beispielsweise eine grundlegende Änderung in der Migrationspolitik fordern oder verlangen, den „Neuen Deutschen Medienmachern“ und ähnlichen Vereinen das Staatsgeld abzudrehen – dann könnten sich viele Journalisten, NGO-Aktivisten und Twitterer die Akte Spahn noch einmal ganz grundsätzlich vornehmen. Und spätestens dann fände sich auch eine Staatsanwaltschaft, die Akten, Handys und Festplatten beschlagnahmen lässt.
Die meisten Journalisten könnten das ganz oben zitierte Gespräch mit einem Politiker über Schaden und Nutzen schon deshalb nicht mehr führen, weil ein Pressevertreter dazu auf einem wirtschaftlich soliden Boden stehen muss. Die ökonomischen Grundlagen des Selbstbewusstseins haben die Medienlenker in den oben ebenfalls beschriebenen Schritten eigenhändig abgewrackt. Zweitens könnten und wollen die meisten von ihnen auch gar nicht mehr zwischen ihnen selbst und der Politik unterscheiden. Sie prägen damit den Zustand beider Bereiche mit.
Das Ausscheiden von Politikern aus dem Betrieb durch Rücktritt oder Sturz entspricht der Unternehmensinsolvenz in der Wirtschaft. Dadurch, dass diejenigen, die ihr Vertrauenskapital verbrannt haben, aus dem Wettbewerb austreten, bleibt das Gefüge insgesamt halbwegs intakt. Stattdessen geschieht längst etwas Ähnliches wie in der Staats- und Firmenfinanzierung: Medien versorgen Politiker mit praktisch unbegrenzten Vertrauenskrediten, solange nichts wirklich Entscheidendes dagegenspricht. Mit dem Kreditvolumen fällt allerdings auch der Währungskurs immer weiter, und damit die eigenständige Macht der Kreditgeber. Selbst dann, wenn einige merken, dass die Entwicklung auch ihnen selbst schadet, finden sie nicht so schnell Wege, um diesen Prozess zu stoppen, geschweige denn umzukehren.
Es gibt Medienfiguren, die alles in sich vereinen, was dieser Text beschreibt. Beispielsweise Florian Gless, Chefredakteur des Stern, eine pausbäckige Figur, die ein bisschen so aussieht wie ein von Bernd Zeller gezeichneter Journalist beziehungsweise wie irgendein Merkelscher Kanzleramtsminister. Gless war, wenn mich nicht alles täuscht, der erste führende Medienmanager, der in der vergangenen Woche mutig den Rücktritt Mathias Döpfners als Präsident des Verlegerverbandes als Strafe für dessen Satz gefordert hatte, sehr viele Journalisten seien heute Propagandaassistenten. Im vergangenen Jahr verkündete der Stern-Chef, heute sei nicht mehr die Zeit für „reine Berichterstattung und Kommentierung angesichts der Vielzahl der Probleme in unserer Gesellschaft“, weshalb er eine ganze Ausgabe seiner Illustrierten von „Fridays for Future“ gestalten ließ. Kürzlich löste er zusammen mit seiner Co-Chefredakteurin das Wirtschafts- und Politikressort des Stern auf, der gerade mit den restlichen Trümmern des Gruner+Jahr-Zeitschriftenbereichs an RTL Deutschland verklappt wird.
Diese Transformationen findet er, wie die restlichen Beschäftigten seinen Mitteilungen regelmäßig entnehmen können, herausfordernd, spannend, aber auch alternativlos.
Gless gehört zu den Journalisten, die in Deutschland vor Begeisterung aus dem Häuschen geraten, wie taff und mutig Kollegen in den USA Donald Trump in die Zange nehmen, und wie Armin Wolf im ORF Sebastian Kurz verhört, und der selbst am besten weiß, dass er Angela Merkel oder Olaf Scholz nie auch nur annähernd so befragen würde, und zwar schon deshalb, weil ihm das Vokabular dazu fehlt. Obwohl Gless über 50 ist, findet sich im Archiv kein einziger Text und noch nicht einmal ein Satz von ihm, der irgendjemand in Erinnerung geblieben wäre. Seine Kolumnen verfasst er in einer Art vereinfachten Sprache, einem optimistisch beschwingten und gleichzeitig humorfreien Deutsch, das ein bisschen an Motivationsseminar erinnert und möglicherweise auch genau daher stammt.
Es gibt an Florian Gless trotzdem etwas dezent Unheimliches. In Eggers „Every“ begegnet der Leser genau diesen merkwürdig konturlosen Personen zu Dutzenden, die nicht nur keine bösen, sondern überhaupt keine Eigenschaften besitzen.
„Every“ handelt davon, wie dieser Typus nicht einzeln, aber im Kollektiv eine Diktatur ohne Diktator schafft, für die es vorerst noch keine Bezeichnung gibt.
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