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Wehrfähigkeit illusorisch

Die Bundeswehr-Krise: Zu viele Bürokraten, zu wenig Soldaten für den Kampfeinsatz

07.07.2025

| Lesedauer: 2 Minuten
Laut dem Potsdamer Militärexperten Sönke Neitzel ist die Hälfte der Bundeswehrsoldaten im Ernstfall für einen Einsatz an der Front nicht mehr geeignet. In einem Interview schlägt der Professor für Militärgeschichte Alarm und fordert tiefgreifende strukturelle Veränderungen.

„Mehr als 50 Prozent unserer Soldaten sind nicht in der direkten Auftragserfüllung tätig“, so Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam. Viele seien in Verwaltungsapparaten, Stäben oder Ministerien gebunden – weit entfernt von der kämpfenden Truppe. Zwar könne ein Teil im Krisenfall unterstützend tätig werden, ein großer Anteil jedoch sei „für einen Einsatz an der Front nicht mehr geeignet – körperlich, handwerklich oder schlicht zu lange von der Truppe entfernt“, sagt Neitzel im Gespräch mit der Welt.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) habe zwar mehr Bewegung in das Ressort gebracht als seine Vorgänger, räumt Neitzel ein. Doch an den zentralen strukturellen Problemen habe sich nichts geändert. „Ohne politischen Willen – und zwar parteiübergreifend – bleibt jede Reform Stückwerk“, so seine Einschätzung.

Ein besonders brisantes Detail: Der Anteil der Offiziere in der Bundeswehr ist mit 22 Prozent laut Neitzel fast dreimal so hoch wie im Kalten Krieg. „Wir haben heute genauso viele Oberstleutnante wie Hauptgefreite. Das ist ein absurdes Ungleichgewicht.“ Trotz dieser Schieflage sei im Verteidigungsministerium kein struktureller Umbau in Sicht. Reformvorschläge würden regelmäßig im Verwaltungsapparat versanden.

Neitzel fordert eine tiefgreifende Personalstrukturreform: „Oben kürzen, unten stärken.“ Konkret schlägt er vor, 30.000 Offiziere und Unteroffiziere frühzeitig in den Ruhestand zu versetzen, um Platz für neue, einsatzfähige Kräfte zu schaffen.

Zu viel administratives Personal

Zum Vergleich: Israel betreibt seine Armee mit nur 25 Prozent administrativem Personal, Deutschland hingegen mit über 50 Prozent. „Eine Organisation, in der die Mehrheit nicht am eigentlichen Auftrag arbeitet, kann nicht effizient funktionieren“, warnt Neitzel.

Auch das Rekrutierungsziel verfehlt die Bundeswehr weiterhin deutlich. Statt der anvisierten 203.000 Soldatinnen und Soldaten stagniert die Zahl bei 181.000 – trotz intensiver Werbekampagnen, Social-Media-Offensiven und gesenkter Eignungskriterien. Um das von der NATO geforderte Verteidigungsniveau zu erreichen, müsste Deutschland laut Pistorius mindestens 50.000 bis 60.000 zusätzliche Kräfte aufbauen. Ein Ziel, das angesichts der aktuellen Struktur kaum erreichbar scheint.

Neitzels Fazit fällt ernüchternd aus: „Es gibt kein klares Konzept, keine ehrliche Analyse – nur wachsende Frustration in den Reihen der Truppe.“ Ohne mutige politische Entscheidungen drohe der Bundeswehr dauerhaft der Verlust ihrer Einsatzfähigkeit.

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