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BESCHUSS IN OSTPOLEN

Der Raketeneinschlag in Polen entblößt die Schwächen der Nato

19.11.2022

| Lesedauer: 2 Minuten
Der Raketeneinschlag im ostpolnischen Dorf Przewodów war wohl kein russischer Angriff. Die Regierungen in Warschau und Washington gehen von einer fehlgeleiteten ukrainischen Flugabwehrrakete aus. Wie dem auch sei – es hätte dazu nicht kommen dürfen, meint Wojciech Osiński, Berliner Korrespondent des Polnischen Rundfunks.

Nach einer mehrstündigen Krisensitzung des Nationalen Sicherheitsrats und einem intensiven Austausch mit anderen Nato-Bündnispartnern gab Polens Staatschef Andrzej Duda vorerst Entwarnung: Die S-300-Rakete, die am Dienstag in der Woiwodschaft Lublin einschlug, stammte vermutlich von der ukrainischen Luftabwehr. Damit war es kein russischer Angriff auf Polen und die Nato.

Fakt ist aber, dass es ohne den russischen Angriffskrieg und den Raketenbeschuss sowie das darauf folgende ukrainische Abwehrfeuer in grenznahen Gebieten niemals zu dem tödlichen Beschuss oder Unfall bei Hrubieszów gekommen wäre. Außerdem: Die Rakete hätte gar nicht erst dort landen dürfen. Sie hätte abgefangen und zerstört werden müssen – ganz unabhängig von wem sie stammt, der geringen Vorwarnzeit oder davon, ob sie in der Hauptstadt oder Provinz einschlägt. Das aber offenbart die Schwäche der Luftraumsicherung der Nato-Staaten: Warschau war vollkommen überrascht und hatte keinerlei eigene Schutzmaßnahmen gegen den Raketenbeschuss.

[inner_post 1] Nun sagte ein Sprecher des Berliner Bundesverteidigungsministeriums, man stünde im Austausch mit der polnischen Regierung über ein verstärktes „Airpolicing“. Gemeinsam mit den anderen Nato-Ländern werde man prüfen, welche Auswirkungen dies auf die gemeinsame Luftraumüberwachung haben würde. Na ja, diese Überprüfung wäre nicht nur dringend geboten, sondern müsste tatsächlich realisiert werden. Den Luftstreitkräften und Luftabwehrsystemen wird im Nordatlantischen Bündnis eine große Bedeutung beigemessen. Zumindest auf dem Papier. Und „Airpolicing“ klingt etwas harmlos am Rande eines heißen Kriegsgebiets. Es geht um Luftraumverteidigung und Bevölkerungsschutz.

Der Raketeneinschlag in dem ostpolnischen Dorf Przewodów hat Defizite bei der Handlungsfähigkeit und dem Kräftedispositiv der Nato offengelegt, über die man aufgrund der gegenwärtigen Schockstarre noch hinter vorgehaltener Hand spricht. Allerdings können die Staaten diesem Problem jetzt auch nicht unbeschadet ausweichen, zumal eine eingehende Optimierung  der Luftraumüberwachung viele Monate, wenn nicht Jahre in Anspruch nähme. Natürlich muss sich die Luftabwehrstrategie des Bündnisses weiterhin vornehmlich auf kritische Infrastrukturen konzentrieren. Aber das reicht nicht. Die Bevölkerung muss geschützt werden.

Auch in der Bundeswehr klaffen derzeit unverändert „Fähigkeitslücken“ im Bereich der signalerfassenden Überwachung und Aufklärung des Luftraums, die dringend geschlossen werden müssten. Dies sei jedoch nach der Meinung von Experten nicht kurzfristig möglich. Dabei gehört die Entwicklung von hochempfindlichen Aufklärungsinstrumenten und rechenintensiven Auswerte-Algorithmen eigentlich zu den Kernbereichen der deutschen Industrie.

Offensichtlich ist nach dem Raketeneinschlag in Polen keine Aktivierung des Artikels 4 im Nordatlantikvertrag notwendig gewesen, der Beratungen der Nato-Staaten vorsieht, wenn einer von ihnen die Unversehrtheit seines Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die eigene Sicherheit bedroht sieht. Es bleibt zu hoffen, dass solche tragischen Ereignisse künftig erspart bleiben. Es wird aber  eine diplomatische Note notwendig sein, die dem Kreml keineswegs ein verkapptes Friedensangebot unterbreitet, sondern eher wieder vor Augen führt, was sie da eigentlich anrichten.

Sollten die Nato-Staaten – wie unlängst abermals von der Regierung in Kiew eingefordert – den Luftraum über der Ukraine schließen? Dies käme einer Kriegsbeteiligung gleich. Vielleicht sollten wir uns jedoch zunächst einmal um unseren eigenen Luftraum kümmern und die Bevölkerung vor herumfliegenden Raketen schützen.

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