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Der Ossis feines Ohr und Gespür

Danke für die Wiedervereinigung

04.10.2022

| Lesedauer: 3 Minuten
Was wären wir „Wessis“ ohne die Menschen mit dem feinen Gehör? Ohne all die, die gelernt haben, auf die falschen Töne zu achten, die empfindlich sind, wenn es um die Meinungsfreiheit geht und wenn der „Korridor des Sagbaren“ immer enger zu werden scheint.

An meinen Freunden, die Erfahrungen mit dem „realexistierenden Sozialismus“ haben, schätze ich ihre extreme Empfindlichkeit. Man kann sich auf ihr feines Ohr und ihr Gespür verlassen. Sie werden hellwach, wenn sie autoritäre Anwandlungen wittern oder den Versuch, Freiheitsbeschränkungen mit Höherem wie dem Volkswohl (wahlweise der Klima- oder Weltrettung) zu legitimieren. Ralf Schuler und Roger Letsch, Alexander Wendt und Vera Lengsfeld sind geschult im Entlarven von Doppeldenk und Doppelsprech, auch wenn die Propaganda heutzutage nicht, wie zu DDR-Zeiten, mit dem Holzhammer, sondern auf Samtpfötchen als nettes „Nudging“ daherkommt. Auf Monika Maron, Günter Weißgerber, Susanne Dagen und Uwe Tellkamp, aber auch auf Wolfgang Thierse und Arnold Vaatz ist Verlass: Sie riechen den faulen Dunst.

Jan Josef Liefers hat ein ebenso feines Näschen. Sein Beitrag zur Schauspieleraktion #allesdichtmachen persiflierte die willige Gefolgschaft, die Medien und „Kulturschaffende“ der Maßnahmenregierung leisten, mit einer Reminiszenz an die devoten Rituale in der DDR. Erst musste man der Obrigkeit brav danke sagen, bevor man es wagen durfte, „konstruktive Kritik“ zu üben, stets in Gefahr, hernach als Quertreiber oder Konterrevolutionär geächtet zu werden. Zweifeln durfte man damals wie heute nicht, verzweifeln schon.

Doch Zweifel ist die Triebkraft freiheitlicher Gesellschaften, sagt Ralf Schuler, (noch) Leiter der Parlamentsredaktion bei der Bild-Zeitung, aufgewachsen in Ostberlin, ein Jahr jünger als Jan Josef Liefers.

Deshalb: danke für die Wiedervereinigung! Was wären wir ohne die Menschen mit dem feinen Gehör? Ohne all die, die gelernt haben, auf die falschen Töne zu achten, die empfindlich sind, wenn es um die Meinungsfreiheit geht und wenn der „Korridor des Sagbaren“ immer enger zu werden scheint? Was wären wir ohne die Diktatur-Erfahrenen, die wissen, wie sich das anfühlt, wenn die Freiheit eingeschränkt wird? Was wären wir, wenn heute nur noch die das Sagen hätten, die damals die DDR für das bessere Deutschland gehalten haben, wie etwa Olaf Scholz?
Moment – da war doch noch was …

In der Tat. Es sieht wie ein einsamer Rekord aus, dass er zwischen 1983 und 1988 neunmal zu offiziellen Gesprächen mit FDJ und SED einreiste, bevorzugt behandelt beim Grenzübertritt. Über die inoffizielle Zusammenarbeit kann man nur spekulieren. Ich denke nicht, dass er wiedervereinigt werden wollte.

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Doch damit war er nicht allein, wahrlich nicht. Zu den traurigsten Genossen vor nunmehr über dreißig Jahren gehörten die westdeutschen „Intellektuellen“, die sich ihre heile DDR nicht kaputtmachen wollten. Was haben sie damals gezetert, die „intellektuellen Hehler“ (Arnold Vaatz über Walter Jens, Günter Grass, Günter Gaus u.a.), die die deutsche Teilung als gerechte Strafe für Auschwitz aufrechterhalten wissen wollten. Und die der DDR zugutehielten, dass sie ja „antifaschistisch“ gewesen sei. Einige von ihnen waren im Westen im Auftrag der SED unterwegs. Aber viele musste man nicht für ihr Engagement verpflichten oder gar entlohnen.

Noch 1986 zeigte sich der damalige Chefredakteur der Zeit, Theo Sommer, hellauf begeistert von den Potemkinschen Dörfern, durch die er gelotst wurde: „Sie (die Menschen) glauben an das, was sie sehen: die Aufbauleistung ringsum, ihren verbesserten Lebensstandard, die Geborgenheit auch, die ihnen ihr Staat bei allen Kümmerlichkeiten und Kümmernissen bietet, die menschliche Wärme.“

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Die menschliche Wärme, genau, gegen die „soziale Kälte“, für die man sich in der Bundesrepublik an die Brust schlug. Dass es im Westen Deutschlands den „Entfremdungstendenzen des Kapitalismus“ zu wehren gelte, der „Ellenbogengesellschaft“, der sozialen Kälte des „Konsumismus“, galt als ausgemacht. Dagegen die DDR!

Nun, es ist eigentlich klar, dass es in einer Tauschgesellschaft kuscheliger zugeht. Wo man einen Gegenstand oder eine Dienstleistung ohne Verhandlungsgeschick oder gute Laune, sondern schlicht und ergreifend gegen Geld erwerben kann, verliert der soziale Akt des Tauschgeschäfts seinen Charme und seine Bedeutung. Er verliert aber auch seine Zwanghaftigkeit. Nüchtern betrachtet, war die soziale Wärme der DDR eine Zwangsjacke der Gemeinschaft, nicht der Gesellschaft oder der Geselligkeit.

Doch immerhin! Die DDR war antifaschistisch!

Wenn es denn irgendeine von einer Mehrheit anerkannte DDR-Identität gäbe, dann läge sie womöglich hier – im antifaschistischen Anspruch, mit dem sich die Diktatur legitimierte und womit die SED-Propaganda die „gutwilligen Kreise“ der BRD zum Schulterschluss zwang.

Dieser Mythos ist heute lebendiger denn je. Wo der „Kampf gegen Rechts“ als größte und wichtigste Aufgabe gilt, sind die Schlägertrupps der selbst erklärten „Antifa“ nicht nur das kleinere Übel, sondern geradezu Bundesgenossen, etwa der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass nicht die BRD die DDR „kohlonisiert“ hat, sondern dass, umgekehrt, die DDR dabei ist, den Sieg davonzutragen.

Einspruch? Klar. Natürlich kann man das vereinte Deutschland nicht mit der DDR gleichsetzen. Doch wer den Ruf „Wehret den Anfängen!“ ernst nimmt, sollte das auch jetzt tun. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat es derart massive Eingriffe in die Grundrechte der Bürger gegeben. Nur zu ihrem Schutz? Grundrechte heißen so, weil sie nicht verhandelbar sind, egal, wie edel das Motiv für ihre Einschränkung sein mag. Edel sind alle Motive totalitären Handelns, stets will man das Beste für die Menschheit, das Klima oder gleich die ganze Welt – und dafür seien alle Mittel recht.

Insofern: Ohne die Spürnasen mit DDR-Hintergrund würde ich mich einsam und verloren fühlen im Neuen Deutschland. Danke für die Wiedervereinigung.

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Von Cora Stephan ist gerade erschienen:
Im Drüben fischen. Edition Buchhaus Loschwitz, dresden

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