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Placebo Borkum

Bundesregierung kauft sich Zeit

03.07.2025

| Lesedauer: 3 Minuten
Deutschland und die Niederlande erschließen ein Gasfeld vor Borkum. Ein später Versuch, die Energiekrise zu entschärfen. Doch an ideologischen Denkverboten hält die Politik weiter fest. Versorgungssicherheit bleibt zweitrangig. Fracking und Kernkraft? Auf keinen Fall.

Die Bundesregierung und die Niederlande haben sich auf die Erschließung des gemeinsamen Gasfelds vor der Insel Borkum verständigt. Es ist der Versuch, Druck aus dem Kessel der zugespitzten Energiekrise zu nehmen. Eine dauerhafte Lösung bietet das Gasfeld nicht.

Während Brüssel erneut das Ziel der Emissionsneutralität bis 2050 bekräftigte, beschlossen Deutschland und die Niederlande die Erschließung eines gemeinsamen Gasfelds vor Borkum. Es fehlen noch die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat, um den anschließenden völkerrechtlich bindenden Vertrag mit den Niederlanden zu unterzeichnen. Doch dies dürfte angesichts der Mehrheitsverhältnisse keine große Hürde darstellen.

Wende in der Wende?

Erleben wir die Wende in der Wende? Haben deutsche Politiker gemeinsam mit ihren niederländischen Kollegen erkannt, dass der Weg der zentral geplanten, grünen Transformation in die energiepolitische Sackgasse führt? Man geht kein Risiko ein, diese Fragen mit einem klaren Nein zu beantworten.

Dennoch: Die Erschließung ist eine gute Entscheidung angesichts der sich beschleunigenden Deindustrialisierung der europäischen, aber vor allen Dingen der deutschen Industrie. Und sie zeigt, dass Politik in EU-Europa noch handlungsfähig ist, wenn der Druck steigt. Aber diese Entscheidung ist mitnichten ein Paradigmenwechsel, der uns zu einer rational erwogenen Energiepolitik zurückführen würde und den Energiesektor wieder marktwirtschaftlichen Prinzipien öffnete.

Es mangelt vor allen Dingen in den deutschen Stromnetzen an grundlastfähiger Energie. Borkum ist der Versuch, hier Druck vom Kessel zu nehmen und die Netze kurzfristig zu stabilisieren. Offenbar war der Blackout auf der Iberischen Halbinsel vor wenigen Wochen ein Warnschuss, den man in Brüssel und den Hauptstädten der EU durchaus wahrgenommen hat.

Russlands Vakuum

Nach dem Aus der Kernenergie und dem beschlossenen Ende des Imports russischen Gases 2027 steigt der Druck auf die Politik, dieses Vakuum zu füllen. Geologen schätzen das Fördervolumen des Borkum-Felds auf bis zu 13 Milliarden Kubikmeter. Werden auch angrenzende Felder erschlossen, liegt das Potenzial bei 60 Milliarden.

Bezogen auf das Hauptfeld, für das nun die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, ist davon auszugehen, dass die niederländische Betreiberfirma „One-Dyas“ im Jahr etwas mehr als vier Milliarden Kubikmeter fördern wird und damit knapp fünf Prozent des jährlichen Energiebedarfs der Bundesrepublik decken kann. Dieser lag im vergangenen Jahr bei 80 Milliarden Kubikmeter. Das Borkumer Projekt ist also lediglich eine Zwischenlösung, um Zeit zu gewinnen und neue Energiequellen zu erschließen. One-Dyas hat seine Testförderung seit März erfolgreich abgeschlossen und steht quasi in den Startlöchern.

Bekannte Widersacher

Die Firma wäre technisch in der Lage, auch angrenzende Gasfelder kurzfristig zu erschließen, trifft aber auf erheblichen Widerstand. Greenpeace und andere Umweltverbände berichten, dass One-Dyas insgesamt zwölf Bohrungen in der Region plant, sowohl auf niederländischem als auch auf deutschem Hoheitsgebiet. Die Förderinfrastruktur (Plattformen, Pipelines) würde in unmittelbarer Nähe zum UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer errichtet, weshalb auch das Bundesumweltministerium betont, weitere Bohrungen in sensiblen Schutzgebieten zulassen zu wollen. Ein angepasster Rechtsrahmen soll den Meeresschutz stärken und weitere Erschließungen in Schutzgebieten verhindern.

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 4,2 Milliarden Kubikmeter Gas aus heimischen Vorkommen gefördert – genug, um rund fünf Prozent des Jahresbedarfs zu decken. Das Borkumer Gasfeld könnte die heimische Gasförderung also für etwa drei Jahre verdoppeln. Doch energiepolitisch steht die Bundesrepublik weiter mit dem Rücken zur Wand. Eine rationale Energiestrategie sollte jetzt ideologische Denkverbote aufheben und den Markt entfesseln. Die Rückkehr zur Kernenergie ist überfällig, und auch die Debatte über das Fracking lässt sich nicht länger verdrängen.

Streitfall Fracking

Gerade beim Fracking scheiden sich die Geister. Umweltverbände laufen seit jeher Sturm gegen das Verfahren und rennen in der Politik bislang offene Türen ein. Dabei ließe sich mit Fracking ein Großteil des Gasbedarfs für mindestens 25 Jahre aus heimischen Vorkommen decken. Dass diese Option aus politischen Gründen vorschnell vom Tisch gewischt wurde, ist verantwortungslos – ein Kniefall vor Partikularinteressen auf Kosten der Versorgungssicherheit. Ob die Politik an dieser Stelle den Diskurs öffnen wird, wenn sich die Energiekrise weiter zuspitzt, ist schwer zu beurteilen.

Allerdings wächst der Handlungsbedarf und mit ihm die Wahrscheinlichkeit, dass auch das Fracking wieder auf die Tagesordnung rückt. Deutsche Industriebetriebe zahlen für Strom im Vergleich zu ihren US-Konkurrenten den drei- bis vierfachen Preis – teils über 35 Cent pro Kilowattstunde. Frankreich profitiert von seiner Atomkraft, Deutschland hingegen stranguliert sich mit dem Dschungel aus Öko-Abgaben und Netzentgelten und provoziert so die Verlagerung seiner Industrie an günstigere Standorte.

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