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Unterhaltung vs. Wokes Fernsehen

Sogar Platzhalter schlagen das Weltverbesserer-TV

23.06.2022

| Lesedauer: 3 Minuten
„Blamieren oder Kassieren XL“ ersetzt über den Sommer „Zervakis und Opdenhövel live“ in der Prosieben/Sat1-Gruppe – und holt deutlich bessere Quoten. Jetzt stellt sich die Frage, ob das Talk-Format nach der Pause überhaupt zurückkommt.

Plötzlich hatte SAT1 ein Problem. Nach nur zwei Ausgaben setzten die Verantwortlichen „Birgits starke Frauen“ ab. Zu unterirdisch waren die Quoten des Talk-Formats. Doch was stattdessen senden? Am Montag, um 20.15 Uhr, zur wichtigsten Sendezeit? SAT1 entschied sich für „111 abgefahrene Verkehrskracher“. Eine Konserve mit wenig Nährwert: Radfahrer fahren auf dem Gehweg, im Hintergrund dudelt lustige Musik, der Radfahrer knallt versehentlich gegen ein Verkehrsschild und aus dem Off sagt jemand was Lustiges, irgendwas mit Knallen.

[inner_post 1] 900.000 Menschen wollten das sehen. In der werberelevanten und für SAT1 wichtigen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen waren es 290.000. Eine Quote von 5,1 Prozent. Das liegt zwar unterm Schnitt des Senders, ist aber für eine aufgewärmte Konserve ganz okay – und knapp dreimal so viel, wie die eigentlich vorgesehene Sendung „Birgits starke Frauen“ erreichte. Eine teure Eigenproduktion, mit viel Werbung vom Sender angepriesen und von der woken Fachpresse als Meilenstein in der Emanzipierung des Fernsehens gefeiert. Nur sehen wollt’s halt kaum einer.

Eigenproduktion, gesellschaftspolitisches Aushängeschild und Liebling der Fachpresse – das ist im Fernsehen derzeit eine beliebte Kombination. Und ein sicheres Rezept für Flops. Pro Sieben hat das gleiche mit „Zervakis und Opdenhövel live“ erlebt. Das Infomagazin sollte das Flaggschiff einer Seriösitäts-Offensive des Senders sein, der sogar seinen Claim dafür änderte: Aus „We love to entertain you“ wurde „We love to infotain you“. Nur sehen wollt’s halt kaum einer.

Jetzt erholen sich Zervakis und Opdenhövel im Urlaub und die Pro-Sieben-Quoten von „Zervakis und Opdenhövel“. Stattdessen setzt der Sender auf die Retrowelle.

„Blamieren oder Kassieren“ war bisher ein Format innerhalb der Show „TV Total“, die Pro Sieben ebenfalls in der Retrowelle wiederbelebt hat. Jetzt hat es einen eigenen Sendeplatz bekommen. Mittwoch, 21.20 Uhr, direkt nach „TV Total“ – wo sonst „Zervakis und Opdenhövel live“ läuft. Für sechs Ausgaben. Vorerst. Denn die Quizfragen und die Scherze von Moderator Elton wollte tatsächlich jemand sehen.

[inner_post 2] 1,04 Millionen Zuschauer hatte „Blamieren oder Kassieren XL“ insgesamt. In der werberelevanten Zielgruppe waren es 670.000 Zuschauer. Hinter der Tagesschau die meisten an diesem Mittwoch. Die Quote betrug 12,7 Prozent. Die Macher von „Zervakis und Opdenhövel live“ sind schon froh, wenn es mit ihrer Show über die 5-Prozent-Marke hinaus geht. „Blamieren oder Kassieren“ konnte seine gute Quote zudem an einem Tag holen, an dem das ZDF mit „Bares für Rares“ einen starken Konkurrenten ins Feld schickte.

Kommt „Blamieren oder Kassieren XL“ jetzt dauerhaft? Konkrete Pläne dazu sind nicht bekannt. Aber es gilt die alte Branchenregel, die Harald Schmidt definiert hat: „Wenn du ein Pferd hast, das erfolgreich ist, dann reite es.“ Platz zwei im Tagesvergleich in der Zielgruppe ist ein Erfolg, den Pro Sieben nicht täglich holt – und der für den Sender in der Konkurrenz mit RTL einen Anreiz darstellt.

[inner_post 3] Zumindest sollten sich die Macher der Pro-Sieben-Gruppe, zu der auch SAT1 gehört, fragen, was sie wollen: Das Weltbild der Macher transportieren? Oder den Zuschauer bedienen? Der zeigt immer wieder, dass er kein Belehrungsfernsehen will. So gab es ja bei „Birgits starke Frauen“ durchaus Gäste, die interessant waren. Nur: Es kam halt nicht so weit, dass sich das eine relevante Anzahl anschauen wollte.

Eine Frau kehrt ins Fernsehen zurück, um Frauen darzustellen, die etwas leisten, um Frauen zu mehr Selbstvertrauen zu motivieren. Das hört sich eben nicht nach Unterhaltung an – sondern nach Sozialkunde-Unterricht. In den geht man, weil man dazu gezwungen wird. Als Schüler. Morgens. Wenn man schon zu oft blau gemacht hat. Aber das ganze abends und freiwillig? Das wollte halt kaum einer sehen.

Das Portal „Tag 24“ thematisiert jetzt Kritik an „Blamieren oder Kassieren XL“. Elton habe die Gäste in Prominente und „echte Menschen“ unterschieden. Darüber regten sich die üblichen Verdächtigen auf Twitter auf. Das führt zu einem kleinen Erfolgsrezept für die Sender: Umso mehr die woke Blase etwas ablehnt, umso mehr die woke Blase etwas bekämpft, umso mehr es die woke Blase verbieten lassen will – desto eher wollen das „echte Menschen“ sehen.

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