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Schlimmster Gefälligkeitsjournalismus

Bei Anne Will die fünfte Audienz von Angela Merkel, von der Will noch mehr Merkel will

29.03.2021

| Lesedauer: 4 Minuten
Anne Will besteigt an diesem Abend mit Angela Merkel einen neuen Gipfel in der Geschichte des Gefälligkeitsjournalismus. Sie präsentiert die eigene Kritiklosigkeit geradezu, macht der Kanzlerin mehrfach Komplimente.

Nach ihren Erfahrungen mit ihren vier Auftritten bei Anne Will wusste Angela Merkel, dass sie keine wirklich unangenehmen Fragen zu erwarten hat. Aber eine Eingangsfrage wie diese hätte sich vermutlich nicht einmal Regierungssprecher Steffen Seibert einfallen lassen, wenn er sie hätte vorschreiben dürfen: „Diese Woche haben Sie etwas Bemerkenswertes gemacht, für das Sie zu Recht großen, großen Respekt erfahren haben.“ Ja, Will hat das wirklich so gesagt: „… zu Recht großen, großen Respekt …“

Und dann, nach dem Einspieler von Merkels Auftritt am vergangenen Mittwoch mit dem Eingeständnis des Fehlers der Osterruhe und der Bitte um Verzeihung, fragt Will, wofür genau sich Merkel entschuldigt habe. Und Merkel, die dieses Lob huldvoll entgegennimmt, weiß natürlich, dass sie sich hier nicht etwa rechtfertigen und über wirkliche Fehler sprechen muss, und sagt: „Für die Verunsicherung.“

Nicht die Maßnahme an sich war also falsch und verzeihungsbedürftig, sondern nur die Verunsicherung, die daraus erwuchs. Im Gegenteil: Merkel sagt in den darauffolgenden Minuten mehrfach, dass eigentlich „mehr Maßnahmen“ notwendig wären.

[inner_post 1] Wenn man denn diesem Interview eine Bedeutung beimessen, aus ihm Schlüsse ziehen will, dann betreffen diese weniger den Gehalt der Aussagen, sondern eher die Inszenierung, die die Interviewerin hier mit der Kanzlerin – man sollte vielleicht präziser sagen: für die Kanzlerin – veranstaltet. Als Merkel etwa formuliert, die Länder sollten „nachlegen“, sonst müsse sie „überlegen“, ob „wir“ das Infektionsschutzgesetz noch „spezifizieren“, fragt  Will – und scheint dabei hoffnungsfroh –, ob das nun heiße, dass Merkel „mehr Macht an sich ziehen“ wolle und spricht von einer „Art Durchgriffsrecht“. Da muss die Kanzlerin dann enttäuschen: Das würde Verfassungsänderungen bedeuten, für die man überhaupt keine Mehrheit findet.

Und dann kommt ein erstaunlicher Moment der deutschen Fernsehgeschichte: Eine der prominentesten Frauen des Öffentlich-Rechtlichen Fernsehens gibt offen zu, dass sie gar nicht kritisch fragen wolle, indem sie sagt, wie sie „das Interview anlege“. Diese Sätze sollen hier festgehalten werden: „Ich hätte ja auch die ganze Zeit die Gegenposition beziehen können. Hätte sagen können: Es müssen Lockerungen her, die Menschen machen das nicht mehr mit. Ist aber ja gar nicht so. Und ohnehin möchte ich gerne verbleiben in dem Grundsatz, den Sie eben noch mal mit dem sehr guten Zitat ‚Es ist ernst, nehmen Sie es ernst‘ auch gesagt haben.“

Eine interviewende Journalistin spricht von einem „sehr guten Zitat“ der interviewten mächtigen Politikerin: Da sind offenbar sämtliche Hemmungen vor dem Gefälligkeitsjournalismus gefallen.

Wenn Will in dieser Stunde überhaupt schein-kritisch fragt, dann im Sinne einer Enttäuschung darüber, dass Merkel womöglich nicht merkelmäßig genug regiert. Oder, dass sie nicht genug auf Karl Lauterbach hört, den Will dreimal als quasi-unhinterfragbaren Agenda-Setzer zitiert mit Forderungen, nun bloß nicht Maßnahmen zu lockern, wie das etwa der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans vorhabe.

Als Merkel sagt, „Ausgangsbeschränkungen können ein wirksames Mittel sein“ und sagt „eigentlich“ wolle sie „dramatische Szenen verhindern“, säuselt Will: „Ich staune über ihre zarten Begrifflichkeit, es steht Ihnen gut, aber …“

Und dann kommt der Moment, wo sich beide gemeinsam eine Umfrage in krasser Weise zurechtbiegen. Will behauptet, die Menschen seien bereit, härtere Maßnahmen mitzumachen und meint das mit einer Umfrage des Politbarometers zu belegen, die eingeblendet wird. Auf der ist zwar deutlich zu sehen, dass 26 Prozent die Maßnahmen für übertrieben und 31 Prozent für „gerade richtig“ erachten, und nur eine Minderheit von 36 Prozent für härtere Maßnahmen sind, doch Will sagt wörtlich: „Die Menschen hätten Sie hinter sich.“

[inner_post 2] Wenn nur nicht die Ministerpräsidenten wären! Ob NRW-Ministerpräsident Armin Laschet nicht gegen die Abmachungen der Videokonferenz verstoße, fragt Will – und die Kanzlerin tadelt zustimmend: „Das Land hat eine Umsetzung gewählt, die zuviel Ermessensspielraum mit sich bringt.“ Da wird Will für ihre Kanzlerin richtig sauer: „Sind Sie nicht enttäuscht? Haben Sie nicht das Gefühl, Mann ey, wir vereinbaren Dinge …“. Aber da muss die Kanzlerin mal besänftigen und sagen, es gehe halt in der Bundesrepublik immer nur mit Bund und Ländern gemeinsam.

Am ehesten noch in die Nähe einer kritischen Frage kommt Will, als sie dann gegen Ende doch noch darauf hinweist, dass in Deutschland erst 10 Prozent der Menschen geimpft sind. Aber natürlich hakt sie nicht nach, als Merkel auch bei dieser Gelegenheit mit Phrasen über das Impfdebakel hinweggeht, das mit ihrer ausdrücklichen Billigung die EU-Kommission angerichtet hat. Merkel ist nach wie vor der Meinung, dass es richtig war, über die EU zu bestellen. Warum eigentlich? Die Frage fällt Will nicht ein.

Das womöglich gefälligste Gefälligkeitsinterview der deutschen Fernsehgeschichte ist da fast geschafft. Aber ein Merkel-Fernseh-Auftritt wäre keiner, wenn die Kanzlerin nicht noch mit einer neuen Absurdität um die Ecke käme. Diesmal nimmt sie sich dafür den Impferfolg Israels vor. Diese Kanzlerinnenworte verdienen es ausführlich zitiert zu werden:

„Es gibt, glaub ich, auch gute Gründe, warum man ein kleines, sehr effektives Land sich auswählt, um auch viele Dinge zu lernen, die bei so einem Impfen zu lernen sind.“ Wer so fragt sich der aufmerksame Zuhörer, aber nicht Anne Will, hat sich denn Israel ausgewählt, um zu lernen? Aber Merkel spricht ungestört weiter und doziert statt zu erklären: „Die EU hat über 400 Millionen Einwohner, das dauert länger.“ Ist das nicht gerade das entscheidende Argument gegen die EU-Bestellung? Auch diese Frage fällt Will nicht ein.

Mit einem journalistischen, kritischen Politiker-Interview hatten diese 60 Minuten nichts zu tun. Will gab sich nicht einmal besondere Mühe, so zu tun als ob und sagte: „Ich bleibe in Ihrem Kosmos.“

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