Wenn wir die tieferen Ursachen der Erosion unserer Gesellschaft verstehen wollen, so ist es zwingend, dass wir uns mit der Erosion ihrer Werte auseinandersetzen. Dies wiederum erfordert es, den fundamentalen Antagonismus zu verstehen, in dem sich der Kampf zwischen Freiheit und Unfreiheit manifestiert.
Das Ringen zwischen Freiheit und der in immer wieder neuen Verkleidungen durch die Menschheitsgeschichte wiederkehrenden Ideologie des Sozialismus haben wenige mit der Tiefe und historischen Empirie analysiert wie der russische Mathematiker, Philosoph und Dissident Igor Schafarewitsch, Zeitgenosse und Freund Alexander Solschenizyns. Er systematisierte die konstitutiven Elemente des Sozialismus, die historisch in unterschiedlicher Ausprägung als politisch-ideengeschichtliche Wiedergänger auftreten. Diese Elemente betreffen die gesellschaftliche Rolle von Ehe und Familie, Eigentum, Individualität, Religion und Kultur. Schafarewitsch fasste diese Analyse in seinem philosophischen Hauptwerk, dem 1975 im Samisdat-Verlag illegal in der Sowjetunion erschienenen Buch »Der Todestrieb in der Geschichte – Erscheinungsformen des Sozialismus« zusammen.
[inner_post 1] Dieses theoretische Rahmenwerk erlaubt es uns, die Frage zu analysieren, wie sich die in unserer Zeit aktuelle sozialistische Herausforderung gegen die Freiheit manifestiert. Sie tut das in einer Denkschule, die wir als Kulturmarxismus erkennen können, deren ultimatives Ziel aber der Staatssozialismus marxistisch-leninistischer Prägung bleibt.
Schafarewitsch hat den Sozialismus mit seiner Programmatik und seinen Verführungen als anthropologische Konstante der Menschheitsgeschichte erkannt. Seine von der russischen Orthodoxie inspirierte Forschung demaskierte den Sozialismus in vielfältiger Weise. Durch die Reduktion seiner Ideenwelt auf die fünf oben genannten Elemente konnte Schafarewitsch nachweisen, dass das Phänomen wesentlich älter ist als die sich als Sozialismus bezeichnende politische Bewegung mit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert. Die Ausprägungen der sozialistischen Ideologien waren durchweg gekennzeichnet von Feindschaft gegen Ehe und Familie, Ablehnung des Privateigentums, Verneinung des Wertes des Individuums, Hass auf die Religion, insbesondere das Christentum, und Zerstörung respektive Verflachung von Kunst, Kultur und Musik. Allerdings lagen die Schwerpunkte in unterschiedlichen historischen Kontexten in jeweils anderer Verteilung, Intensität und Ausprägung vor.
Diese fünf Merkmale dienen uns im Folgenden zur Identifikation und Klassifikation von Gesellschaftsordnungen. Ihnen gemeinsam ist, dass ihre Ausprägungen in sozialistischen Gesellschaften auf einer spirituellen Ebene Ausdruck der Ablehnung der für die Menschenwürde konstitutiven Freiheitsrechte des Individuums sind. Dies ist die Wurzel für die dem Sozialismus innewohnende Misanthropie, die ihre Erfüllung in seiner genozidalen Zwangsläufigkeit findet, die empirisch eindeutig belegt ist: Alle sozialistischen Gesellschaftsordnungen, insbesondere auch seine Ausprägung als nationaler Sozialismus, haben zu Massenmord und Völkermord geführt. Sie demaskieren den Sozialismus als einen Todeskult, der durch zwei Zitate Igor Schafarewitschs und Roland Baaders treffend zusammengefasst werden kann. Roland Baader schrieb in »Freiheitsfunken«: »Im Tod sind alle gleich. Deshalb ist der Völkermord die Lieblingsbeschäftigung der Gleichmacher.« Schafarewitsch ging sogar noch einen Schritt weiter und resümierte: »Der Tod der Menschheit ist nicht nur ein denkbares Ereignis, wenn der Sozialismus triumphiert, sondern er stellt das Ziel des Sozialismus dar.«
[inner_post 2] Angesichts der im »Schwarzbuch des Kommunismus« zusammengefassten empirischen Befunde über die genozidale Historie dieser Ideologie, der spirituellen Dimension von Schafarewitschs Arbeit und der in unterschiedlichen Gewändern und Verkleidungen immer wiederkehrenden freiheitsfeindlichen Ideologie des Sozialismus in 4.000 Jahren Menschheitsgeschichte stellt sich die Frage nach der aktuellen Inkarnation dieses Menschenfeindes für die derzeitige politische und freiheitliche Debatte.
Im Kulturmarxismus der Frankfurter Schule finden wir diese Manifestation, die mit den 68ern den Marsch durch die Institutionen in diesen erfolgreich abgeschlossen hat. Es sind sechs gedankliche Schritte, die eine Brücke schlagen zwischen der Analyse Schafarewitschs und dieser kulturmarxistischen Strömung. Ich möchte sie wie folgt zusammenfassen:
- Die Perspektive Igor Schafarewitschs auf den Sozialismus ist in ihrem Kern spiritueller, ja auch religiöser Natur. Sie ist aber mit umfassender empirischer Evidenz begründet.
- Diese neue Sichtweise könnte man in einem religiösen Sinne als prophetisch bezeichnen. Sie nennt den biblischen »Feind des Menschengeschlechts« beim Namen und verleiht in ihrer Konsequenz der von der Orthodoxie inspirierten Arbeit Schafarewitschs ein Alleinstellungsmerkmal.
- Der spirituelle Kontext beruht nach meiner Überzeugung auf der Freiheit als Merkmal der Gottähnlichkeit des Menschen (»Er schuf ihn nach seinem Ebenbilde«). Der Mensch ist das Ebenbild Gottes nicht im Sinne anatomischer Ähnlichkeit, sondern weil ihm das Geschenk der Selbsterkenntnis, des »Cogito, ergo sum«, und damit in letzter Konsequenz der Wahlfreiheit und der Freiheit als solcher zuteil wurde. Es gibt umfangreiche theologische Debatten unter der Überschrift des »Theodizee- Problems«, die in dem Geschenk der Freiheit den Wesensgrund für den Antagonismus des Bösen gegen Gottes Plan erkennen. Eine gegen die Freiheit gerichtete Ideologie ist von daher in ihrer gegen das Göttliche und Religiöse gerichteten Konzeption nur logisch und konsequent.
- Der Sozialismus als Feind der Freiheit und damit als Feind des Menschen überhaupt ist in dieser Perspektive die Inkarnation des Dämonischen, wie wir sie bereits bei Dostojewski 1873 in seinem Roman »Die Dämonen« finden.
- Der Werteaspekt wiederum stellt die Verbindung her zur Frankfurter Schule moderner Ausprägung. Die Werte als Basis einer Ordnung der Freiheit werden über die gesellschaftliche Akzeptanz der Sünde im Zuge der hedonistischen Versuchung einer sexualisierten Gesellschaft zur sozialen Realität. Der Rest folgt von allein.
Der Kulturmarxismus der Frankfurter Schule
Die Frankfurter Schule und der von ihr vertretene und vorangetriebene Kulturmarxismus haben ihre Wurzeln – entgegen der allgemeinen Wahrnehmung – nicht in der Revolte von 1968. Sie war nur Erbe und Brandbeschleuniger dieser Ideen. Bereits in den 1920er-Jahren gegründet durch ihre Hauptvertreter Horkheimer, Grünberg, Marcuse und andere, widmete sie sich der Entwicklung der sogenannten »Kritischen Theorie« des »westlichen Marxismus« oder »Kulturmarxismus«. Eines ihrer wesentlichen Feindbilder war die Familie als angeblich »autoritäre Struktur«. Die sogenannte »antiautoritäre Erziehung« der 68er war vor diesem Hintergrund in Wahrheit ein Instrument zur Untergrabung der Institution Familie als unverzichtbarer Baustein der Gesellschaft.
Während der Herrschaft des Nationalsozialismus gingen ihre Proponenten ins Exil in die USA, wo die theoretischen Grundlagen weiterentwickelt wurden. Eine wichtige Erkenntnis, die die Schule gewann, war ihr Verständnis der ökonomischen Überlegenheit der freiheitlichen Ordnung über die sozialistische Ordnung. Man hatte erkannt, dass die »Massen« nur dann in einer kommunistischen Revolution die kleine Elite der Berufsrevolutionäre nach leninistischem Vorbild an die Macht spülen würden, wenn die bestehende Ordnung durch innere oder äußere Einflüsse erodiert werden würde. Der Erste Weltkrieg war ein Beispiel für eine solche Entwicklung und führte zur Machtergreifung der Bolschewiki in Russland. Eine an sich selbst durch Krieg gescheiterte Ordnung machte den Weg frei für die kommunistische Machtergreifung.
0 Kommentare