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Halb Amerika ausgegrenzt

Bidens Auftritt, flankiert von Marines, löst breite Kritik aus

04.09.2022

| Lesedauer: 3 Minuten
In der Autorin Nachbarschaft ist man sich einig: Trump vergreift sich sicherlich oft im Ton, aber er hat dabei die Mächtigen und Einflussreichen im Visier. Biden dagegen droht dem einfachen Wähler. Das sei nicht nur eine neue Qualität der Spaltung, das sei gefährlich.

Als Joe Biden seine Antrittsrede als „President elect“ hielt, hatten manche das Gefühl, es könne ein Ruck durch Amerika gehen. Rot und blau, Republikaner und Demokraten könnten sich wieder die Hände reichen. Ähnlich wie nach der ersten Regierungserklärung von Olaf Scholz flammte kurzfristig so etwas wie Hoffnung auf. Ein Rohrkrepierer, weiß man heute – auf beiden Seiten des Atlantiks.

„To make progress, we have to stop treating our opponents as our enemies. They are not our enemies, they are Americans.“ 
Joe Biden am 7. November 2020

Keine zwei Jahre später tönte Biden in seiner jüngsten 25-minütigen „Soul of the Nation“-Rede vor 300 ausgesuchten Zuhörern anders. Stil und Aufmachung der Rede erinnerten eher an einen dämonischen Diktator als an einen großen Versöhner. Und das ausgerechnet in der Independence Hall in Philadelphia, dort, wo einst die amerikanische Verfassung geschrieben wurde.

In dramatischer Aufmachung, der dunkle Hintergrund wie mit Flammen rot beleuchtet, flankiert von Marines in Uniform hatten seine Worte nichts Verbindendes, nichts Aussöhnendes mehr. Ein regelrechter Abscheu gegenüber Andersdenkenden kam zum Vorschein.

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Biden warf Anhängern von MAGA (Make America Great Again), also allen, die Trump gewählt haben und auch wieder wählen würden, quasi der republikanischen Hälfte Amerikas, vor, die Demokratie unterwandern zu wollen und die Verfassung nicht zu respektieren. Laut Biden glauben sie nicht an die Rechtsstaatlichkeit, wollen Chaos schüren, Lügen verbreiten und würden den Willen des Volkes nicht anerkennen.

„MAGA Republicans have made their choice. They embrace anger. They thrive on chaos. They live, not in the light of truth but in the shadow of lies.“ 
Joe Biden am 1. September 2022

Empörte Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. „Niemand, der 50% der Wähler in diesem Land als Halbfaschisten, Extremisten und Bedrohung der Demokratie dämonisiert, verdient es, 100% der Bevölkerung dieses Landes zu vertreten. Selbst Trumps Kritiker können nicht behaupten, dass er die demokratischen Wähler auf diese Weise dämonisiert hat“, ordnete die RNHA (Republican National Hispanic Association) die Rede Bidens ein.

Nicht wenige Amerikaner fühlen sich von ihrem Präsidenten beleidigt, verhöhnt und verschmäht. Meine komplette Nachbarschaft war ernsthaft entsetzt. Zum Verständnis: Ich lebe in den USA, genauer gesagt in Florida, in einem Wahlbezirk, der zu 88 Prozent Trump gewählt hat. Nicht nur 2016, sondern auch 2020. Davor wählten etliche von ihnen übrigens Obama. Nur so am Rande.

Keiner meiner Nachbarn ist gewalttätig. Sie arbeiten als Polizisten, Feuerwehrleute, Gärtner, Reisebürokauffrau oder sind bereits in Rente. Sie sind in der Kirche aktiv, engagieren sich ehrenamtlich und helfen einander, wann immer sie können. Von ihnen zu behaupten, sie würden im Chaos gedeihen oder Wut schüren, ist geradezu grotesk. In unserer WhatsApp-Gruppe schrieb jemand: „Ich fange an Angst zu haben vor dem, was hier noch passiert“. Alle stimmten zu.

Der kalifornische Kongressabgeordnete Darrell Issa war zudem entsetzt, dass Biden Marinesoldaten für seine Inszenierung missbrauchte, und twitterte: „The only thing worse than Biden’s speech trashing his fellow citizens is wrapping himself in our flag and using Marines to do it.“

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Sein Amtskollege Jim Jordan aus Ohio twitterte ein angsteinflößendes Bild Bidens und schrieb dazu nur sarkastisch: „Versprochen wurde uns Einheit. Bekommen haben wir das hier:“

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Unbehagen erzeugten die im Hintergrund aufgestellten Marines auch, da Biden in seiner Rede drohte, man wäre nicht machtlos und man würde sich diese [MAGA-] Attacken auf die Demokratie nicht gefallen lassen.

„But while the threat to American democracy is real, I want to say as clearly as we can, we are not powerless in the face of these threats. We are not bystanders in this ongoing attack on democracy.“ 
Joe Biden am 1. September 2022

Die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, meinte dazu nur lapidar: „Die Anwesenheit der Marines sollte den tiefen Respekt signalisieren, den der Präsident für sie hat. Er schätzt ihre Ideale und die einzigartige Rolle, die unser unabhängiges Militär hat, um unsere Demokratie zu verteidigen.“

So, so. Aber wird die Taktik Bidens aufgehen? Werden sich die Wähler von seiner Drohung, gegen MAGA-Amerikaner vorzugehen, einschüchtern lassen? Immerhin, sogar CNN-Journalisten, tendenziell eher Demokraten-freundlich, äußerten sich kritisch.

CNN Anchor Brianna Keilar meinte, es sei ein Unding gewesen, das Militär für die Rede zu missbrauchen. Das amerikanische Militär sollte unpolitisch bleiben. „Whatever you think of this speech the military is supposed to be apolitical. Positioning Marines in uniform behind President Biden for a political speech flies in the face of that. It’s wrong when Democrats do it. It’s wrong when Republicans do it.“

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CNN Chief National Affairs Correspondent Jeff Zeleny fand, es sei keineswegs ungewöhnlich oder falsch, dass ein Präsident eine politische Rede hielte. Das sei Teil seines Jobs. Aber diese Rede vor zwei Marine-Soldaten zu halten, die in Uniform und Habachtstellung hinter ihm stünden, bräche mit allen Traditionen des Weißen Hauses. „There’s nothing unusual or wrong with a President delivering a political speech — it’s inherent in the job description — but doing it against a backdrop of two Marines standing at attention and the Marine Band is a break with White House traditions.“

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In meiner Nachbarschaft ist man sich jedenfalls einig. Trump, so heißt es dort, vergreife sich sicherlich oft im Ton. Aber er hat dabei die Mächtigen und Einflussreichen im Visier. Biden dagegen drohe dem einfachen Wähler. Das sei nicht nur eine neue Qualität der Spaltung, das sei gefährlich.

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