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Schlag nach bei Schäuble

Was, wenn Merkel 2015 gestürzt worden wäre?

06.04.2024

| Lesedauer: 3 Minuten
In seiner gerade posthum erscheinenden Autobiografie berichtet Schäuble, wie er 2015, mitten in der Wir-schaffen-das-Krise vom CSU-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Stoiber bestürmt wird, die Kanzlerin zu stürzen. Was, wenn? – Ein amüsantes Spiel, das manchmal sogar den Blick schärft.

Ein beliebtes Spiel: zu spekulieren, was wäre gewesen, wenn…? Was wäre aus Europa geworden, wenn die Perser 490 v. Christus in Marathon die Athener besiegt hätten? Was, wenn Hitler Moskau erobert hätte? Und was, wenn Ursula von der Leyen anno domini 2015 Kanzlerin geworden wäre? Kein Scherz. Schlag nach bei Schäuble!

I.

In seiner gerade posthum erscheinenden Autobiografie berichtet Schäuble, wie er 2015, mitten in der Wir-schaffen-das-Krise vom CSU-Vorsitzenden und Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund – das blonde Fallbeil – Stoiber bestürmt wird, die Kanzlerin zu stürzen. Angeblich, und sich selbst ins Spiel zu bringen. Schäuble amüsiert der Gedanke. Die Selbstüberschätzung Stoibers ist tatsächlich lustig. Er hat, doppelter Konjunktiv, seine Chance gehabt, wäre er gegen Schröder 2002 nicht äußerst knapp unterlegen und hätte sich drei Jahre später nicht selbst aus der Bundespolitik hinaus katapultiert, als er erst zusagte, dann ablehnte, als Superminister ins Kabinett Merkel einzutreten. Er wäre der natürliche Ersatzmann gewesen und im Spiel geblieben.

II.

Jetzt also 2015, da lässt Merkel jeden ins Land, der das Wort Asyl halbwegs artikulieren kann oder auch nicht. Die Grenzen sind offen. Nicht nur Stoiber ist in Sorge. Angenommen – dreifacher Konjunktiv – Schäuble hätte seine notorische Vasallentreue überwunden, angenommen, die von Merkel bereits gründlich entkernte CDU wäre ihm gefolgt, angenommen, es wäre auch noch gelungen, die Jetzt-sind-sie-halt-da-Kanzlerin zu stürzen, was dann? Kanzler wird Deutschland nur los, indem zugleich ein anderer Kanzler gewählt wird. Das Verfahren heißt konstruktives Misstrauensvotum. Die Unionsparteien hätten nicht nur Merkel aus, sondern einen anderen ins Amt wählen müssen – mit der Zusicherung, ihn in vorgezogenen Neuwahlen zu legitimieren.

Im damals dritten Kabinett Merkel saß aber das letzte Aufgebot. Weit und breit niemand in den Reihen der CDU, der die Kanzlerin hätte ersetzen können. Schäuble (damals Finanzminister) wäre als gesundheitlich eingeschränkter Brutus vom Dienst nicht in Frage gekommen. Thomas de Maizière (Inneres) war ein Vasall, die sich in der Migrationspolitik nicht durchsetzen konnte oder wollte. Den Sturz der ersten Kanzlerin hätte eine Frau weniger grausam erscheinen lassen. So wäre nur Ursula von der Leyen als Kandidatin in Frage gekommen, bis dahin die schlechteste Verteidigungsministerin in der Geschichte der Republik. Europa wäre manches erspart geblieben. Denn 2019 stieg UvdL zur Kommissionspräsidentin in Brüssel auf. Die CDU wäre damals also gar nicht in der Lage gewesen, Merkel zu stürzen, weil es keine überzeugende Alternative gab. Das macht das ganze Dilemma deutlich. Dem Niedergang der politischen Klasse verdankt Merkel die lange Dauer ihrer Kanzlerschaft und die Gelegenheit, die Republik ungestört in den Niedergang zu manövrieren.

III.

Was hätte UvdL im Kanzleramt getan? Sie hätte – vierfacher Konjunktiv – bei den vorgezogenen Bundestagswahlen besser abgeschnitten als dann 2017 Merkel (mit 32,9 und 8,5 Prozentpunkten Minus das schlechteste Ergebnis seit 1949). Die Fortsetzung der Großen Koalition wäre vermutlich unterblieben, denn anders als nach Merkels Versuch, die FDP für dumm zu verkaufen, wäre Lieber-nicht-regieren-als-schlecht-regieren-Lindner mit UvdL unter eine Decke gekrochen. Sie hätte in Migrationsfragen ein wenig mehr tun müssen als Merkel. Aber sie hätte sich von einem grünen Vizekanzler – damals noch nicht Habeck – eine fundamentalistische grüne Klimapolitik aufdrängen lassen, wie sie es dann ja auch in Brüssel getan hat. Die Unionsparteien waren damals bereits heftig ergrünt. Und wie wären wohl die Covid-Jahre unter einer Kanzlerin UvdL verlaufen? Mindestens so verheerend – auch ohne Karl Lauterbach als Gesundheitsminister. So wie die Deutschen gestrickt sind, wäre UvdL womöglich heute noch Kanzlerin. Man kann Schäuble dankbar sein, dass er das durch sein Zaudern verhindert hat?

IV.

Schäuble: „Wie Jahrzehnte zuvor bei Helmut Kohl blieb ich bei meiner Überzeugung, dass der Sturz der eigenen Kanzlerin unserer Partei langfristig nur schaden könnte, ohne das Problem wirklich zu lösen.“ Das ist ein schlechter Witz. Nichts hat der Union mehr geschadet als Merkels gefühlt ewige Kanzlerschaft bis 2021. Aber Schäuble hielt damals ja auch das Offenhalten der Grenzen für richtig und hatte ins „Wir schaffen das“ eingestimmt. Sein Lebenstraum war die Kanzlerschaft gewesen. Längst vergossene Milch. Er hätte Merkel rechtzeitig verhindern können, wenn er Kohl beerbt hätte.

Falls – fünffacher Konjunktiv – er erstens die Eier dazu gehabt hätte. Zweitens, Kohl, von der eigenen Unersetzlichkeit berauscht, seinen erklärten Kronprinzen nicht düpiert hätte. Drittens, der nicht über einen lächerlichen Aktenkoffer mit 100.000 Euro von Waffenhändler Schreiber gestolpert wäre. Viertens Merkel das Machtvakuum einer von allen guten Geistern verlassenen westdeutschen CDU-Herrenriege nicht eiskalt genutzt hätte. Fünftens, die ganze CDU nicht den Verstand an der Garderobe der „Wiedervereinigung“ abgegeben hätte und der Doppelquote – Ost-Frau – auf den Leim gegangen wäre. Was, wenn? – Ein amüsantes Spiel, das manchmal sogar den Blick schärft.


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