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Vorwort zum Sonntag

Dreifacher Irrweg in der Migrationsdebatte

27.01.2024

| Lesedauer: 2 Minuten
In einer freien Gesellschaft muss offen diskutiert werden, wo die Irrwege in der Migrationsdebatte beginnen. Auch da wird man unterschiedliche Meinungen und Begründungen weiter aushalten müssen.

Migration ist eines der Mega-Themen des 21. Jahrhunderts. Einwanderung hat Deutschland wesentlich sichtbarer verändert als der Klimawandel. Sozialstaat, Haushaltspolitik, Bildung, Wohnungsnot, Israelpolitik – all das sind Themen, die unmittelbar mit der Migrationspolitik der letzten Jahre zusammenhängen. Es ist daher für eine Demokratie unabdingbar, dass dieses Thema rauf und runter diskutiert wird, im Parlament, in öffentlichen wie in privaten Debatten sowie auch am Stammtisch. Große deutschlandweit orchestrierte Aufmärsche mit hunderttausenden Menschen, die empört skandieren „Ganz Deutschland hasst die AfD“, sind sicherlich eine Machtdemonstration im Sinne der Regierung und den ihr zugetanen Redaktionen in den Medienhäusern. Aber für den Diskussionsprozess sind sie hinderlich, weil sie den freien Meinungsaustausch unter einen bald schon kriminellen Generalverdacht zu stellen versuchen. Auf diese regierungsfreundliche Weise wird es nicht möglich sein, die Absurditäten der Regierungspolitik zu vermindern.

Der erste Irrweg besteht folgerichtig darin, die Diskussion über Migration zu unterdrücken, beinahe zu kriminalisieren und unter Kontrolle der Regierung zu halten. So kann Olaf Scholz im SPIEGEL sagen: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“. Doch wenn mündige Bürger den Kanzler ernst nehmen und in einem privaten Treffen darüber nachdenken, was das konkret heißen könnte, dann wird in ganz Deutschland hysterisch der Demokratienotstand ausgerufen. Doch es hilft nichts. Es gibt Themen, die so wichtig sind, dass man sie nicht einfach weglächeln oder mit Aufmärschen dauerhaft unterdrücken kann.

Der zweite Irrweg begegnet mir in meiner Kirche als nahezu durchgängiger evangelischer Standard. Das grenzenlose Willkommens-Credo lautet: „Wir sind alle Gottes Kinder und von gleicher Würde. Eine Spaltung der Gesellschaft in Wir-und-Die-Anderen akzeptieren wir nicht.“ Das sagen ausgerechnet die Kirchenleute, die in der Coronazeit die 2G-Apartheidsgottesdienste zu verantworten haben, die amtlich die Menschen in ein Wir-und-Die-Anderen aufgespalten haben.

Das sagen die Kirchenbeamten, die die Spaltung der Kirchenmitarbeiter in privat Krankenversicherte und gesetzlich Krankenversicherte akzeptieren. Das sagen die Kirchenleute, die für offene Grenzen sind, die aber gleichzeitig ihre Kirchen und Gemeindehäuser abschließen, weil ansonsten leider zunehmend Menschen dort unkontrolliert ihr Unwesen treiben. Das sagen die Kirchenleute, die bei ungewollten Besuchen in ihrem Privathaus dem Einbrecher nicht zujubeln, „wir sind alle Gottes Kinder und von gleicher Würde“, sondern die Polizei rufen, damit mit Staatsgewalt Recht und Gesetz durchgesetzt wird. Wer mit frommen Phrasen versucht, eine maßlose und unkontrollierte Migrationspolitik zu rechtfertigen und zu sakralisieren, der beleidigt die Intelligenz des christlichen Glaubens.

Der dritte Irrweg begegnet mir bei Ausländerhassern. Da grölen Menschen in einer Disko: „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus.“ Ein undifferenziertes „Ausländer raus“ ist sowohl menschlich, kulturell als auch wirtschaftlich eine Katastrophe. Nun gibt es im Dunstkreis der AfD aber eben auch genau solche Stimmen, sei es aus Überzeugung, sei es aus naiver Bierblödigkeit oder sei es von V-Leuten des Verfassungsschutzes. Bei jedem ÖRR-Interview werden entsprechende Ausfälle dem AfD-Politiker mit Genuss unter die Nase gehalten. Mit der Lupe werden alle menschenverachtenden Äußerungen der AfD vergrößert, um damit die Partei im Gesamten sowie alle Wähler – ob Überzeugung oder Verzweiflung – gemeinsam anzubräunen. Im Hintergrund steht die Frage, die wohl für alle Parteien gilt: Ab wieviel Narrensaum wird eine Partei selber zum Narrensaum?

In einer freien Gesellschaft muss offen diskutiert werden, wo die Irrwege in der Migrationsdebatte beginnen. Auch da wird man unterschiedliche Meinungen und Begründungen weiter aushalten müssen.

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